50 Jahre Hip Hop wurden im Dezember bei den Grammys gefeiert. Ausgangspunkt für den Jahrestag war eine Party von DJ Kool Herc in der Bronx, die man tatsächlich als Geburtsstunde des Genres betrachten kann. Daraus wurde eine einzigartige Musik (zunächst) über das Leben im Ghetto, über rivalisierende Gangs und über schwarzes Selbstbewusstsein. Der Siegeszug dieses Sounds hält bis heute an.
Zu den vielleicht erstaunlichsten Rap-Phänomenen gehört, dass rund zehn Jahre später auch eine deutsche Entsprechung dieser Musik entstand. In der Bundesrepublik des Helmut Kohl (in der DDR schon gar nicht) gab es keine Ghettos und keine Gangs, es gab auch kaum Schwarze. Was es aber sehr wohl gab, sind Rassismus, Diskriminierung, Sexismus, fehlender Respekt und kaum Aufstiegschancen. Wie in dieser Umgebung das entstehen konnte, was wir heute „Deutschrap“ nennen – also ein Genre, das derzeit auf vielerlei Weise die Jugendkultur domininiert -, zeichnet die ARD-Dokumentation Hip Hop Made In Germany nach, entstanden unter Regie von Negar Ghalamzan, Thorsten Ernst, Banu Kepenek, Onur Kepenek.
Die vier Folgen stellen in jeweils knapp 45 Minuten ein Jahrzehnt in den Mittelpunkt und eine Stadt, die für diese Dekade prägend war. Zwei Hosts cruisen dann in einem alten Mercedes durch diese Stadt und blicken gemeinsam zurück, das Autoradio liefert Tracks aus der Zeit ebenso wie wichtige Nachrichten des Weltgeschehens. In jeder Stadt steigen ein paar Überraschungsgäste in den Benz, dazu gibt es Archivaufnahmen aus dem damaligen öffentlich-rechtlichen Musikfernsehen, die heute irgendwo zwischen krude und cringe anzusiedeln sind, sowie Stimmen von Musiker*innen, Expert*innen und anderen Zeitzeug*innen, die für diese Dokumentation interviewt wurden, darunter sind neben üblichen Verdächtigen wie Smudo und König Boris auch so überraschende Namen wie Gregor Gysi und Michel Friedman.
Über die Auswahl der Städte kann man streiten (Stuttgart wird sicher beleidigt sein, selbst Düsseldorf bietet mittlerweile eine knapp zweistündige Stadtführung auf den lokalen Spuren des Hip Hop unter dem Titel „The Sound of Düsseldorf – Hip-Hop-Edition“ an), auch die Auswahl der Testimonials ist nicht tadellos. Die Anfänge in den 1980ern stellen Toni-L von Advanced Chemistry und Martin Stieber von den Stieber Twins in Heidelberg vor, hoch kompetent und mit erfreulich wenig „Opa erzählt vm Krieg“-Attitüde. Auf die 1990er, für die Hamburg als Hochburg festgelegt wird, blicken Eunique und Denyo zurück, denen ein wenig mehr Horizont gut getan hätte. Kitty Kat und Ali Bumaye fahren durch Berlin und thematisieren die Nullerjahre, für die 2010er und alles danach, mit Frankfurt als Schauplatz, machen Celo & Abdi die Gastgeber, allerdings arg selbstverliebt und wenig charismatisch. Ingesamt funktioniert das Setting aber gut, denn es sorgt für Dynamik und – ein seltenes Gut in Dokus – Spontaneität.
So wird Hip Hop Made In Germany nicht nur eine musikalische Zeitreise mit vielen Aha-Effekten, von der Bedeutung in Deutschland stationierter US-Soldaten in den Anfangsjahren über den Multiplikator-Effekt, den Viva für das Genre hatte bis hin zur Tatsache, dass die Pioniere sich hier durchweg nicht mit ihren ganz frühen Tracks zeigen, sondern eher mit späterem Material. Das bedeutet entweder, dass die Doku die Rechte dafür nicht erwerben konnte, oder mangels vorliegendem Videomaterial darauf verzichtete. Oder, nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Altvorderen ihre ersten Gehversuche im Rückblick so unausgereift finden, dass sie damit lieber nicht in einer Leistungsschau ihres eigenen Genres auftauchen möchten.
Nicht zuletzt zeigen die vier Teile sehr eindrucksvoll, wie sich Hip Hop in Deutschland gewandelt hat und wie zuverlässig die Szene dabei auch die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen spiegelt. Und leider zeigt die Doku auch die Geschichte einer Abwärtsbewegung: Deutscher Hip Hop ist seit den Anfangstagen diverser, weiblicher (wenn auch erst in der jüngeren Vergangenheit) und erfolgreicher geworden. Er ist heute aber auch viel eindimensionaler (von den anfangs gleichberechtigt gepflegten vier Hip-Hop-Säulen Rap, Breakdance, Graffiti und DJing ist letztlich nur noch das erste Element geblieben), kommerzieller und dümmer als in seiner Blütezeit.
Die 20 erstaunlichsten Zitate aus der Doku:
„Für mich gab es nicht dieses Frau-Mann-Ding im Hip Hop.“
Cora E., eine der ersten deutschen Rapperinnen, über die Zeit ihres Durchbruchs in den 1980ern
„Falco ist der absolute Hip-Hop-Pionier, der das Deutschsprachige berühmt gemacht hat.“
Eko Fresh
„Der Reiz von Beat Street lag darin, dass die Leute [in der DDR] darin wahnsinnig viele Parallelen gesehen haben. Wenn du in der Altstadt einer ostdeutschen Metropole groß geworden bist – da sah es halt wirklich so aus wie in der Bronx.“
Morlockk Dilemma
„Man muss zugeben, 30 Jahre später, dass die Leute jetzt ein bisschen geiler gerappt haben als ich.“
Denyo (Absolute Beginner)
„Meine ganzen Samples, oder meine ganze Musik, die ich gemacht habe, habe ich alle von Vinyl gesamplet. Ich habe viele Scheiben, die haben nur 2 Euro gekostet, wo aber die geilsten Samples drauf waren.“
Sleepwalker
„Das war ein historischer Moment, der mich stark beschäftigt hat. Auch inspiriert hat, noch mehr Songs zu machen, sich noch besser zu organisieren. Das hat auch Hip Hop geholfen, sich zu politisieren.“
Denyo über die rassistischen Angriffe in Rostock-Lichtenhagen
„Ich sage gerne stolz: Wir haben deutschen Rap erfunden. Das ist natürlich ein bisschen übertrieben. Aber man kann sagen, dass wir furchtlos genug damit rausgekommen sind.“
Smudo (Die Fantastischen Vier)
„Ich konnte alle Texte der Fantastischen Vier auswendig. (…) Aber Identifikation? Null! Minus zehn!“
Lady Bitch Ray
„Fettes Brot waren aus meinem Blickwinkel die coolere Variante von den Fantastischen Vier. (…) Im Gegensatz zu den Fantas hast du da rausgehört: Da ist echter Rap drin.“
Denyo (Absolute Beginner)
„Aggro Berlin wurde so erfolgreich aus zwei Gründen. Das eine ist sehr gute handwerkliche Arbeit. Das andere ist, dass man eine Lücke geschlossen hat und zum Beispiel viel mehr Menschen mit Migrationshintergrund für deutschen Rap begeistern konnte, die vorher vielleicht auch schon US-Rap gehört hatten, sich aber mit dem damals vorherrschenden deutschen Rap nicht wirklich identifizieren konnten.
Toxik, Herausgeber von hiphop.de
„Ich hatte nie normale Fans. Wenn die mich gesehen haben: Die Frauen haben angefangen zu kreischen, die Männer wollten mich anfassen und der Rest hat mich angespuckt.“
Lady Bitch Ray
„Für mich war es das Ding, das mich bekannt gemacht hat.“
Prinz Pi über illegale Downloads Anfang der Nullerjahre
„Ich habe Bushido nie gehört. Ich kann mit dieser Musik nichts anfangen.“
Kitty Kat
„Jetzt ist es eine sehr schlimme Gegend. Als ich noch hier gewohnt habe, ging es noch. Aber 4 Blocks hat die Gegend gefickt.“
Ali Bumaye
„Der Rap aus Frankfurt ist sehr pathetisch.“
Celo
„Herbert Grönemeyer ist für mich so eine Art Legende, Dicker. (…) Herbert ist mein absolutes Wunsch-Feature.“
Ali Bumaye
„Ich habe ein Faible für ostdeutsche Frauen.“
Afrob
„Take the money and run. Auch als Marxist kann ich sagen, dass Geld leider ein Synonym für Freiheit ist in dieser Gesellschaft. Ich kann verstehen, dass wenn die Leute die Möglichkeit haben, viel Geld zu verdienen, dass sie dann viel Geld verdienen wollen.“
Dizarstar
„Die Rettung der Demokratie und die Rettung des Klimas sind auf jeden Fall unterrepräsentiert, wenn man in Rap-Texte guckt.“
Simon Vogt, Host im Podcast Deutschrap ideal