Film | 24 Wochen | |
Produktionsland | Deutschland | |
Jahr | 2016 | |
Spielzeit | 103 Minuten | |
Regie | Anne Zohra Berrached | |
Hauptdarsteller*innen | Julia Jentsch, Bjarne Mädel, Emilia Pieske | |
Bewertung |
Worum geht’s?
Dass sie wieder ein Kind erwartet, ist für Astrid Lorenz ein riesiger Grund zur Freude. Das schicke Haus auf dem Land, in dem sie mit ihrem Mann lebt, wird so mit noch mehr Leben gefüllt. Ihre kleine Tochter bekommt ein Geschwisterchen, und nicht zuletzt kann sie das Leben als Schwangere auch wunderbar für ihren Beruf als Kabarettistin nutzen: Sie macht – unterstützt von Markus, der auch ihr Manager ist – Witze über dicke Bäuche und pralle Brüste und erntet reichlich Lacher für ihren offenen, unbeschwerten Umgang mit der eigenen Familienplanung sowie viel Respekt für die Fähigkeit, all die Anforderungen an eine moderne Frau so mühelos unter einen Hut zu bekommen. Mit der plakativen Lockerheit ist es aber schnell vorbei, als bei einer Routine-Untersuchung im sechsten Schwangerschaftsmonat festgestellt wird, dass ihr ungeborenes Kind mit dem Down-Syndrom zur Welt kommen wird. Astrid und Markus ziehen sich zurück, recherchieren, lassen sich beraten und versuchen, sich die Entscheidung zwischen einer Spätabtreibung und dem Leben mit einem behinderten Kind so reiflich wie möglich zu überlegen. Als sie sich gerade geeinigt haben, das Kind zu bekommen, folgt der nächste Schock: Die Ärzte stellen fest, dass der Fötus einen schweren Herzfehler hat. Damit das Baby überhaupt überleben kann, werden direkt nach der Geburt mehrere Operationen notwendig sein, mit unklarem Ausgang. Erneut stehen Astrid und Markus vor der Frage, ob sie sich, ihrer Familie und dem noch nicht geborenen Kind dies zumuten wollen. Und diesmal fällt es noch schwerer, eine gemeinsame Position zu finden.
Das sagt shitesite:
Es gibt viele Momente, in denen 24 Wochen hätte sentimental werden können. Wenn das glückliche Paar voller Vorfreude einen Namen für das gemeinsame Baby aussucht. Wenn die Eltern bei einer Ultraschalluntersuchung bangen, ob das Kind denn gesund sein wird. Als die kleine Familie eine Gruppe von Trisomie-21-Betroffenen trifft, um sich ein Bild davon machen zu können, wie genau sich dieser Gendefekt auswirken kann und wie viel Lebensfreue vielleicht dennoch möglich bleibt. Oder beim Betrachten des Fötus im Mutterleib, der in diesem Film ein paar Mal sehr detailliert gezeigt wird, womit klar wird, dass dieses 30 Zentimeter große Geschöpf schon sehr nah dran ist, ein Mensch zu sein.
Dass dieser Film, der um die ganz großen Fragen kreist, niemals in die Melodrama-Falle tappt, ist ein großes Verdienst von Anne Zohra Berrached, die 24 Wochen als Abschlussarbeit ihres Regiestudiums vorgelegt hat. All den existenziellen Krisen, all dem Grübeln über den Wert des Lebens und all dem Ringen um Moral setzt sie einen fast dokumentarischen Ansatz gegenüber. In einigen Szenen sind in der Tat keine Schauspieler*innen, sondern echte Protagonist*innen zu sehen, etwa bei den medizinischen Erläuterungen der Ärzte oder dem Treffen mit Trisomie-21-Betroffenen. Die enorme Emotionalität in diesem Werk kommt fast ausschließlich aus den herausragenden Leistungen von Bjarne Mädel und vor allem Julia Jentsch in den Hauptrollen. Sie verleihen dem Geschehen eine große Tiefe, Vielschichtigkeit und Menschlichkeit.
Zu den vielen klugen Ideen des Films gehören die Wahl des Berufs von Astrid und die Tatsache, dass sie und Markus bereits ein gesundes Kind haben. Astrid bereut ihre quasi öffentliche Schwangerschaft nicht, aber natürlich kann sie nach der Diagnose nicht weiter die Ulknudel spielen. Sie steht auch vor der Frage, wie sie als prominente Frau ihre Entscheidung – wie auch immer sie ausfallen mag – vor ihrem Publikum rechtfertigen soll. Kann sie mit einem behinderten Kind weiter Comedy machen? Kann sie als Frau, die abgetrieben hat, weiter Unbeschwertheit auf der Bühne verkaufen? Auch die Rücksicht auf die Tochter Nele sorgt für zusätzlichen Druck, ebenfalls unabhängig davon, welchen Weg Astrid und Markus letztlich beschreiten wollen. Wie würde sie damit klar kommen, sich die Aufmerksamkeit und Liebe der Eltern mit einem anderen Kind teilen zu müssen, das vielleicht hochgradig pflegebedürftig sein wird? Wie könnte man ihr erklären, dass man sich entschieden hat, ihr noch ungeborenes Brüderchen zu töten?
Mit viel Sensibiltät zeigt 24 Wochen, wie das Liebespaar versucht, alle Perspektiven auszuleuchten, allen Beteiligten gerecht zu werden und auch innerhalb der Beziehung einen Konsens herzustellen. Ebenso deutlich wird, dass diese Situation letztlich eine einsame Entscheidung erfordert, und zwar von Astrid. Sie macht sich Vorwürfe, etwas falsch gemacht und somit die Krankheit des Kinds in ihrem Körper verschuldet zu haben. Sie weiß auch, dass sie die Torturen der Spätabtreibung ertragen müsste, die hier in all ihren manchmal schockierend nüchternen medizinischen Details dargestellt wird. In Schlüsselmomenten blickt sie direkt in die Kamera, als würde sie die Zuschauer*innen fragen: Was soll ich jetzt tun? Was werdet ihr von mir denken, wenn ich meine Entscheidung getroffen habe? Es ist eine Meisterleistung, dass man dabei so sehr mit ihr fühlt und 24 Wochen zugleich nicht den Hauch einer Wertung vornimmt, sondern schlicht den Zwiespalt in den Mittelpunkt stellt.
Bestes Zitat:
„Wir werden zu den Entscheidern über das Leben eines anderen Menschen. Das fühlt sich für mich falsch an.“
Der Trailer zum Film.