Künstler | ’68 | |
Album | Give One Take One | |
Label | Cooking Vinyl | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
„Rustikal“, „raubeinig und provozierend“, „respekteinflößend“, „monumental“, „ungeschliffen“, „infernalisch“, „bullig“. All das sind Bezeichnungen, die man in Testberichten zur aktuellen Variante des Chevrolet Camaro finden kann. Das Auto wurde seit 1966 gut fünf Millionen Mal verkauft, kommt in der aktuellen Produktgeneration mit acht Zylindern auf 453 PS und eine Spitzengeschwindigkeit von 290 km/h. Es sorgt, so lässt sich ebenfalls lesen, für „Alarm in der Tiefgarage“, „zornige Schallwellen“, „ein Statement gegen den Mainstream“ und „tollen Sound“.
Was das alles mit dem neuen Album von ’68 zu tun hat? Als Josh Scogin die Band 2013 gegründet hat, benannte er sie nach dem alten Auto seines Vaters. Und das war ein 68er Camaro. Vor allem aber gilt auch bei Give One Take One: All die oben genannten Attribute treffen auch auf die Musik zu, die er gemeinsam mit Kompagnon Nikko Yamada macht.
Das Duo aus Atlanta, Georgia klingt auch auf seinem dritten Album nach In Humor And Sadness (2014) und Two Parts Viper (2017) noch immer sehr amerikanisch, vor allem aber frisch und wild entschlossen wie auf einem Debüt. Was Scogin (ehemals Sänger bei Norma Jean und The Chariot) nonchalant als „ein bisschen Rock, ein bisschen Blues, ein bisschen Hardcore“ bezeichnet, ist nach wie vor gefährlich und ursprünglich wie What You Starve oder tritt einen heiligen, unberechenbaren Krawall los wie Nickels And Diamonds, das der Zeile „You better believe that it’s out of control“ alle Ehre macht.
Produziert wurde Give One Take One von Grammy-Preisträger Nick Raskulinecz (Foo Fighters, Alice In Chains), wie schon die 2020er EP Love Is Ain’t Dead. Das Ergebnis klingt manchmal, als hätten sich The Hives seit ein paar Wochen nicht gewaschen und seien deshalb endgültig übergeschnappt wie das von hektischen Handclaps angetrieben Chaos in Bad Bite. Ein Song wie What You Feed kommt uverkennbar aus der Garage, aber er klingt groß; er wird feurig, aber nicht eindimensional. Auch mit Nervous Passenger zeigen ’68, wie man Rockmusik anno 2021 spannend halten kann: Es gibt ein famoses Schlagzeug, überraschenden Chorgesang und natürlich wieder ein Monster-Riff.
The Knife, The Knife, The Knife eröffnet das Album mit einer fiesen und prahlerischen Gitarre, dann einem Schrei und dann einer Dampfwalze bestehend aus GitarreSchlagzeugBass. Natürlich weiß man von den Black Keys oder White Stripes, dass zwei Leute ausreichen, um solch eine Attacke zu reiten, trotzdem ist das auch hier wieder faszinierend, erst recht durch die Verbrüderung mit dem Publikum und einen Teil, in dem der Song zwischendurch ruhig und versonnen wird – einfach, weil ihm danach ist.
Lovers In Death ist ähnlich abenteuerlustig und ziemlich sexy. Josh Scogin propagiert darin das „dancing on the edge of a cliff“ und der Song klingt so mutig (oder vielleicht wahnsinnig), wie man dafür eben sein muss. The Silence, The Silence, The Silence scheint der größte Feind des Duos zu sein, und sie bekämpfen es mit einem ebenso plakativen wie präzisen Sound. Life And Debt wird etwas weniger rasant, glänzt dafür aber mit einer tollen Atmosphäre und viel Romantik, wie eine Schnittmenge aus dem Black Rebel Motorcycle Club und Glasvegas. The Storm, The Storm, The Storm schließlich beendet Give One Take One etwas düster und gruselig und setzt auch auf Samples, um es über die Spieldauer von knapp sieben Minuten interessant zu halten.
Ist das jetzt noch Punk? Hardcore? Indie? Turbo-Americana? Das ist ’68 wahrscheinlich scheißegal. Sicher ist bei ihnen nur: Es rockt.