Abay, Naumanns, Leipzig

Aydo Abay Naumanns Felsenkeller Leipzig
Eine neue Band und eine Erkältung hat Abay mit nach Leipzig gebracht.

Irgendetwas ist schief an diesem Bild. Das Konzert im Naumanns in Leipzig sei wie ein Wiedersehen mit alten Freunden, sagt Aydo Abay. Zugleich sei so ein Aufeinandertreffen wie ein Match bei Tinder. Die ersten Songs, die er an diesem Abend gespielt hat, wären dann das erste Date, führt er weiter aus, um daraus zu folgern, die nun anstehende Zugabe repräsentiere den ersten Kuss. „Zum Sex wird es aber heute nicht mehr kommen“, kündigt er schließlich an.

Wie gesagt: So richtig schlüssig ist das nicht, und doch fühlt es sich wie eine sehr treffende Beschreibung des Konzerts an. Als Aydo Abay zum letzten Mal in Leipzig gespielt hatte, war er noch der Sänger von Blackmail. Nun ist er mit seiner neuen Band am Start, die unter anderem Jonas Pfetzing, den Gitarristen von Juli, in ihren Reihen weiß, zudem stehen drei weitere Musiker mit auf der Bühne. Und der Abend fühlt sich an wie ein äußert glückseliges Wiedersehen.

Unzweifelhaft sind alle in diesem Raum im höchsten Maße entzückt, diese Stimme noch einmal live hören zu können, die ihnen ganz offensichtlich extrem viel bedeutet. Beim Durchschnittsalter im Publikum steht eindeutig eine 3 an erster Stelle. Man sieht Männer, die mit Mützen ihr zurückgehendes Haar verbergen wollen, Frauen mit Handtaschen, die viel zu erwachsen sind für ein Rockkonzert, sogar etliche Eheringe lassen sich ausmachen, wenn in den euphorischen Momenten eines Songs von Abay die Hände in die Luft gereckt werden. Keine Frage: Diese Leute mögen diesen Sound nicht erst, seit vor gut vier Wochen das Album Everything’s Amazing And Nobody Is Happy erschienen ist. Sie mögen diesen Sound schon ein halbes Leben lang, und zwar sehr innig.

Fast alle Songs klingen in Leipzig härter als auf Platte, und dieser etwas rabaukige Sound trägt entscheidend dazu bei, dass man schnell denkt: Wow, endlich mal wieder ein schönes Clubkonzert! Keine anonyme Arena, kein frustrierend spärlich besuchter Newcomer-Gig, kein Raum voller Hipster, die sich viel zu schade dafür sind, sich von der Musik mitreißen zu lassen. Im ziemlich hitzigen Naumanns im Felsenkeller wird ausgelassen gehüpft und gesungen, es gibt reichlich Zwischenrufe, ein Fan reicht Adyo Abay sogar ein Beck’s auf die Bühne, der es prompt annimmt („Ich kann einfach kein Bier abschlagen.“). Different Beds und Signs eröffnen das Konzert, spätestens nach dem vierten Song, der Single 1997 (Exit A), tanzen praktisch alle (das bedeutet: alle außer mir und meinem Begleiter).

Apropos: Das letzte Konzert, das ich mit diesem Begleiter erlebt habe, war die Show von Noel Gallagher beim Pure & Crafted Festival. Die Parallele zu Abay ist offenkundig: Auch hier sind die meisten Fans da, weil sie auf Lieder seiner alten Band hoffen, auch hier ist das Publikum aber positiv überrascht, wie gut sich auch die Songs ins Herz schließen lassen, die in der Zeit nach dieser Band entstanden sind. Nach einer guten Viertelstunde ist es soweit: Same Sane von Blackmail erklingt und löst tatsächlich ein Moshpit aus. Auch danach bleibt die Party in Gange: Aydo Abay hat sich längst eine Zigarette angezündet, die Band liefert einen recht dreckigen Sound, der ein gutes Gegengewicht zur Stimme des Sängers schafft und zudem dafür sorgt, dass die Melodien dieser Songs noch etwas heller strahlen können.

Vor der Zugabe gönnen sich Abay eine Runde Escorial für die ganze Band, vielleicht ist der Kräuterlikör gut für die Gesundheit, dann Aydo Abay gesteht, dass er etwas erkältet ist, ohne dass man das seinem Gesang angemerkt hätte. Der Rausch scheint schnell einzusetzen, denn direkt danach gibt es ein Medley mit Songs von Scooter, nach einer Stunde beschließt Everything’s Amazing And Nobody Is Happy schließlich das Konzert. Als zuerst der Sänger und ein paar Minuten später der Rest der Band die Bühne verlässt und sich dabei den Weg mitten durchs Publikum bahnt, hat es nicht einen Moment der Langeweile während dieses Konzerts gegeben. Abay lassen ein Publikum zurück, das mehr will – und das ist vielleicht der schönste Effekt, den man mit so einem Wiedersehen erreichen kann.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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2 Gedanken zu “Abay, Naumanns, Leipzig

  1. Weil über 30-Jährige für Rockkonzerte ja überhaupt nicht mehr in Frage kommen, noch dazu verheiratete (!!!) und mit Handtaschen behangene! Unerhört!
    Entweder bist du nicht richtig sauber oder 18.

  2. Hey! Danke der Nachfrage: Ich bin 12, durfte aber in Begleitung meiner Mami (die trägt Handtasche und Ehering) schon rein ins Naumanns. Im Ernst: Ich behaupte an keiner Stelle, dass es unerhört ist oder nicht in Frage kommt, jenseits der 30 ein Rockkonzert zu besuchen. Ich stelle nur fest, dass es ungewöhnlich ist, wenn das Durchschnittsalter im Saal in diesem Bereich liegt. Ansonsten macht der Text glaube ich deutlich, dass es ein sehr schönes Konzert war – gerade auch wegen des Publikums, das diesen Abend so sichtbar (und mit ansteckend guter Stimmung) genossen hat.

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