Adam Green – „Engine Of Paradise“

Künstler Adam Green

Adam Green Engine Of Paradise Review Kritik
Nur 22 Minuten Spielzeit hat „Engine Of Paradise“ – und das ist ein Pluspunkt.
Album Engine Of Paradise
Label 30th Century Records
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Ziemlich genau 20 Jahre ist es her, dass Adam Green erstmals die Musikwelt in New York auf sich aufmerksam machte. Damals war er Mitglied der Moldy Peaches, pausbäckig, in seltsamen Kostümen, 18 Jahre alt. Die Band wurde gefeiert unter anderem als „extremely amusing and often brilliant“ (NME) oder “punk poets disguised as Nancy Sinatra and Dean Martin against a background of guitars and hiss” (Guardian). Aber wohl niemand hätte damals gedacht, dass dieser Typ aus der Spezies des verpeilten, sprunghaften Klassenclowns im Jahr 2019 sein zehntes Studioalbum als Solokünstler vorlegen würde, mit äußerst namhaften Gästen wie beispielsweise James Richardson (MGMT), Florence Welch (Florence And The Machine) und Jonathan Rado (Foxygen). Genau das geschieht heute allerdings mit Engine Of Paradise. Mehr noch: Morgen erscheint seine Graphic Novel War And Paradise, nachdem er schon 2005 mit seinem zweisprachigen Gedichtband Magazine als Literat in Erscheinung getreten war.

Natürlich klingt das alles schwer seriös, ebenso selbstverständlich bleibt tongue in cheek hier der beliebteste modus operandi, in den Texten ebenso wie in der gesamten Ästhetik. In der Single Freeze My Love erkennt man gut, wie wirkungsvoll der Kontrast weiterhin sein kann aus virtuoser, himmlischer Musik und dieser stets limitierten, hinterfotzigen Stimme. Das Stück sei „like a road-trip song where your Corvette is a JPG filled with flesh cruising towards a blockchain horizon. I think it’s a pretty song, I wish there was a radio station that played it continuously“, sagt Adam Green dazu, als wolle er diese These ebenso doppelbödig bestätigen.

Die größte Stärke von Engine Of Paradise ist, dass er diesen Kontrast als seine größte Stärke erkennt und erstmals seit langer Zeit wieder uneingeschränkt zur Entfaltung bringt. Gleich im Titelsong zu Beginn des Albums spielt Adam Green im Text innerhalb weniger Sekunden auf Love Of Mine an, ebenso wie auf sein Nicht-Singen. Der Sound ist so wie auf dem erwähnten Erfolgsalbum aus dem Jahr 2003: zartes Gitarrenpicking, auf spektakuläre Weise elegante Streicher, etwas Orgel.

Dieses Konzept wird auf der in Brooklyn, New York mit Loren Humphrey aufgenommenen Platte beibehalten, ohne sich innerhalb der knappen Spielzeit von 22 Minuten abnutzen zu können. Der Text von Let’s Get Moving ist durchtrieben, die Musik fast auf kitschige Weise schön. In Gather Round klingt Adam Green wie ein perverser Sektenführer oder ein zynischer Messias. Escape From This Brain platziert sich irgendwo zwischen Dystopie und der Erleichterung, die daraus erwachsen kann, wenn man alle Hoffnung aufgegeben hat. Selten klang er so sehr wie ein richtiger Sänger, weise und souverän wie in Rather Have No Thing.

Besonderen Spaß scheint der 38-Jährige auf Engine Of Paradise im Einsatz von Frauenchören im Hintergrund zu haben. Nicht nur Leonard Cohen ist ein Vorbild dafür, auch bei den Moldy Peaches war ja das Zusammenspiel zwischen männlicher und weiblicher Stimme (und Perspektive) schon eines der wichtigsten Elemente für den Reiz ihres Sounds. Hier gibt es einen kleinen Chor aus Sängerinnen im Latin-angehauchten Wines And Champagnes. Auch in Cheating On A Stranger kommt dieses Stilmittel zum Einsatz, zudem enthält das Lied die vielleicht fieseste Zeile des Albums: „When I smell your soul, baby / I small deflated air, baby.“ Der Schlusspunkt Reasonable Man ist beinahe ein Duett, zugleich zieht der Song hinsichtlich pseudo-klassischem Songwriting und Arrangement noch einmal alle Register und wird zu so etwas wie der Quintessenz der Ästhetik dieser Platte.

Adam Green scheint einerseits erkannt zu haben, dass ihm Experimente in andere musikalische Gefilde bei weitem nicht so gut liegen wie dieser Sound, der ihn einst als Solokünstler groß gemacht hat. Andererseits wird deutlich, wie viele Möglichkeiten ihm dieses Rezept nach wie vor bietet. Über das Video zu Freeze My Love, das letztlich eine durchgeknallte Idee ist, die er mit stattlichem Budget und etlichen Freunden umsetzen kann, sagt er: „Doing stuff like this is the meaning of life for me!“ Dieses „Aus Spaß an der Freude“-Prinzip ist nicht nur eine schöne Klammer zu den Anfängen dieses Künstlers bei den Moldy Peaches, sondern auch hörbar ansteckend auf dieser Platte.

Pizza aus Pappmaché: Das Video zu Freeze My Love.

Im Herbst gibt es Konzerte von Adam Green:

28.10.2019 – Stage Club (Hamburg)

29.10.2019 – Bi Nuu (Berlin)

Homepage von Adam Green.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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