Künstler*in | ÄTNA | |
Album | Push Life | |
Label | Humming Records | |
Erscheinungsjahr | 2022 | |
Bewertung |
Für Bilder funktioniert das schon wunderbar. Man kann beispielsweise bei Peakfinder ein Foto von einer bestimmten Bergkette hochladen, und anhand der Silhouette erkennt die Software recht präzise, um welchen Gipfel es geht. Suchmaschinen wie Bing erkennen auch bereits automatisch, wenn eine Sehenswürdigkeit wie der Eiffelturm auf einem Bild ist und wissen dann: Diese Aufnahme stammt aus Paris. Die KI-basierte App „GeoSpy“ vespricht sogar, für beliebige Bilddateien erkennen zu können, wo sie entstanden sind.
Es wäre generell spannend, solch einen Algorithmus auch für Musik zu haben: Man lädt ein Lied hoch, und die Software verrät, woher der Song stammt. Im Falle von Push Life wäre so eine App sogar noch reizvoller. Denn man könnte vermuten, dass die zehn Tracks auf dem zweiten Album von Ätna die künstliche Intelligenz zur Verzweiflung bringen. Es gibt hier verfremdeten K-Pop (Smile), an anderer Stelle (Weirdo feat. Meute) trifft Harmoniegesang auf Afrobeat, Flow erweist sich als verstörte Ballade zwischen G-Funk, Dub und Girlgroup-Soul. Dass Inéz und Demian all diese Sounds ausgerechnet in Dresden erschaffen haben, würden wohl weder erfahrene Musikfachleute noch eine elaborierte KI herausfinden.
Auch jenseits der Geografie bleibt das Duo auf dem Nachfolger von Made By Desire (2020) – erneut produziert von Moses Schneider – wieder gerne unberechenbar. Anymore eröffnet die Platte mit einem Beat zwischen Chaos und Lebensfreude, Industrial-Härte und R&B-Wärme. Trick By Trick lässt schräge Konstellationen wie „Gwen Stefani meets Die Antwoord“ oder „Missy Elliott als Frontfrau bei The Knife“ in den Sinn kommen. Do You Care ist experimentell und trotzdem unmittelbar, die Ballade Lonely wirkt, als wollten Ätna (erfolgreich) den Beweis antreten, dass der Einsatz von Auto-Tune keineswegs das Ende aller Emotionalität bedeuten muss.
Das Duo hat die unverhofft lange Zeit für die Arbeit im eigenen Studio, die durch die Pandemie-Folgen verügbar war, für noch mehr Detailversessenheit und Komplexität genutzt. Man kennt diesen enorm großen Horizont (die Liste der Feature-Gäste reicht bei Ätna von Marteria bis zur NDR Bigband) und diesen Willen zur Avantgarde schon vom Debüt, Ilona Hartmann schreibt im Pressetext zu Push Life treffend von einem „Multiversum aus Sound, Design, Mode, Bewegung und Sprache, Virtualität und Weirdness, (… einer) Ganzkörpererfahrung namens ÄTNA“.
Manchmal wird das fast opulent und in jedem Fall großformatig wie im Album-Schlusspunkt Goodbye. Inez scheint darin nicht nur mit einer Situation und Beziehung zu hadern, sondern letztlich mit der ganzen Welt, sogar mit den Naturgesetzen. Manchmal werden Passagen stark reduziert und sind deshalb besonders irritierend, wie in I See Love, das erstaunlich wenige Mittel braucht, um ungeheure Ungeduld und maximale Modernität auszudrücken – darunter ist eine kurze Anspielung auf Robyn, die man ähnlich wie Acts im Stile von Fever Ray oder Austra als Geistesverwandte betrachten darf.
Hinzugekommen ist eine gesteigerte Zugänglichkeit. “Wir haben keine Angst vor Pop”, sagt Demian, “aber auch nicht vor Techno, Jazz oder Lyrik.“ Wie gut diese Offenheit zu Ätna passt, hört man wunderbar in einem Song wie River Of Rum: Das ist abenteuerlustig und provokant, ohne versnobbt zu sein.