Aisha Burns – „Argonauta“

Künstler Aisha Burns

Aisha Burns Argonauta Review Kritik
Den Tod ihrer Mutter verarbeitet Aisha Burns mit „Argonauta“.
Album Argonauta
Label Western Vinyl
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

„Wenn die Leute mich gefragt haben, wie es mir geht, sah ich mich einfach nicht in der Lage zu einer aufrichtigen Antwort. Die hätte nämlich heißen müssen: ‚Oh, ich? Ich bin komplett im Arsch und außerdem verliebt‘“, sagt Aisha Burns über das Gefühl, das sie in den letzten Jahren ständig begleitete. „Ich hatte einfach nicht den Mut, über Depression zu sprechen, ich konnte das nicht einmal denen gegenüber eingestehen, die mir wirklich nahe stehen. Deshalb habe ich Songs geschrieben, um diesen Druck aus meiner Seele zu bekommen, aber auch in der Hoffnung, dass da draußen vielleicht noch jemand anders ist, dem diese Lieder zeigen können, dass nach den vielen dunklen Wolken auch wieder besseres Wetter kommen kann.“

Das Ergebnis ist Argonauta und erreicht genau diesen Effekt. Die Künstlerin, die aus San Antonio, Texas stammt und derzeit in Massachusetts lebt, vereint immer wieder ihre magische Stimme mit ihrem kongenialen Spiel auf der Geige, um Lieder wie Must Be A Way zu entwerfen, in denen ein bittersüßer Schmerz steckt und eine gute Dosis Hoffnung, oder das ebenfalls komplett akustische Leavin‘ mit wenigstens einem Hauch von Leichtigkeit rund um die Frage “When will I begin / to live in my own skin?”

Für so viel Kummer hat Aisha Burns, die als Zehnjährige mit dem Geigespielen begann und dann vor gut zehn Jahren in Bands aktiv wurde, etwa bei Alex Dupree & The Trapdoor Band oder Balmorhea, einen sehr konkreten Anlass, nämlich den Tod ihrer Mutter. „Alles fühlte sich nach so vielen neuen Möglichkeiten an. Gleichzeitig erfuhr ich aber die größte Erschütterung in meinem ganzen Leben. Meine Mutter war 2012 gestorben und was das wirklich bedeutete, wurde mir erst nach und nach klar”, sagt sie über die Zeit rund um die Veröffentlichung ihres ersten Soloalbums Life In The Midwater im Jahr 2013. „Man sagt ja, dass die Trauer in Wellen kommt, und bei mir war das auf jeden Fall so. In der Geschäftigkeit der Musikwelt fand ich eine sehr bequeme und aufregende Ablenkung. Aber in Momenten der Ruhe habe ich gemerkt, dass ich wie eingefroren bin. Diese Ungerechtigkeit von Leben und Tod hat mich die ganze Zeit umgetrieben.“

Entsprechend verletzlich und intim klingt Argonauta, das Aisha Burns mit ihren beiden Tourmusikern aufgenommen und selbst produziert hat. Auch im Titelsong, der passend zur Mentalität dieses Albums betrübt und traurig, aber nicht hoffnungslos und sehr stolz klingt, findet sich das zentrale Thema. Der Songtitel entstammt einem Kapitel aus Gift From The Sea von Anne Morrow Lindbergh, die darin von Muscheln erzählt, bei denen Mütter und Nachwuchs ein ganz besonderes Verhältnis haben.

Mit sehr geschickten Variationen schafft es Aisha Burns, trotz einer sehr einheitlichen Grundstimmung und des immer wiederkehrenden Themas den Spannungsbogen zu erhalten. Die Bandbreite reicht dabei vom besonders zurückgenommenen Would You Come To Me, das als Schlaflied funktionieren würde, bis hin zu I Thought I Knew You Well, in dem es sogar ein wenig Feedback einer elektrischen Gitarre gibt. Auch die Vielseitigkeit des Gesangs, der hier gerne mehrstimmig arrangiert wird, ist ein zentrales Element für die Dynamik der Platte, erst recht, wenn Aisha Burns in diesem Lied immer wieder die eindringliche Anklage „I thought I knew you well“ vorbringt, die wohl mehr an sie selbst als an die angesprochene Person gerichtet ist.

Nicht von ungefähr erweist sich der Album-Schlusspunkt Where Do I Begin als das schönste Lied von Argonauta – auch, weil hier die Stimme noch etwas mehr im Zentrum steht. Ein Highlight ist auch If I, denn hier funktionieren die Streicher am besten als perfekte Ergänzung für das Grundgefühl des Songs und zugleich als wichtiges Spannungselement.

Als Symbiose von tiefer Trauer und dem Aufkeimen einer neuen Liebe sieht Aisha Burns ihr Album, und entsprechend fragil und intensiv klingen diese Stücke. Zumindest für die Künstlerin selbst haben sie als Therapie schon funktioniert: “Ich musste diese Lieder schreiben, um der Depression, Anspannung und Unsicherheit, die ich während des Trauerns ertragen habe, eine Stimme zu verleihen.“

Aisha Burns spielt Must Be A Way.

Website von Aisha Burns.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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