Albrecht Schrader – „Diese eine Stelle“

Künstler Albrecht Schrader

Albrecht Schrader Diese eine Stelle Review Kritik
Albrecht Schrader blickt in „Diese eine Stelle“ auf sein Heranwachsen zurück.
Album Diese eine Stelle
Label Krokant
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

„Nichts gibt mehr Aufschluss über uns selbst, als wenn wir das, was vor einigen Jahren von uns gegangen ist, wieder vor uns sehen, sodass wir uns selbst nunmehr als Gegenstand betrachten können.“

Es ist durchaus angemessen, diese Rezension mit einem Goethe-Zitat zu eröffnen. Zum einen klingt auf dem heute erscheinenden zweiten Pop-Soloalbum von Albrecht Schrader alles mondän, exklusiv und weltmännisch, wie es der Dichterfürst bestimmt auch gerne mochte. Zum anderen haben wir hier in der Tat einen Rückblick auf das eigene Erwachsenwerden vor uns, mit dem Abstand von ein paar Jahren und einem klareren Verstand, als er als Teenager möglich ist.

Albrecht Schrader, nach Aufenthalt in Köln (unter anderem zum Studium der historischen Musikwissenschaften und als Leiter des Rundfunktanzorchesters Ehrenfeld für das neo magazin royale) mittlerweile wieder in seiner Heimatstadt Hamburg ansässig, betont das autobiografische Element von Diese eine Stelle. Anders als auf der EP Leben in der Großstadt (2016) und dem Album Nichtsdestotrotzdem (2017) soll es keine Fiktion mehr geben, sondern einen ehrlichen Blick auf die Frage: Wie wurde ich der, der ich bin? Was hat mich geprägt in der Adoleszenz, was davon wirkt weiter? Es gibt demnach hormonellen Aufruhr, den Wunsch nach Zugehörigkeit, die eine oder andere offene Wunde. So weit, so erwartbar. Was das Album aber schwierig macht, ist der Ausgangspunkt.

Schrader ist, wie es im Pressetext zur Platte heißt, „aufgewachsen in gutem hanseatischen Hause“. Übersetzt bedeutet das: Er wird wohl genug erben, um niemals selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen zu müssen. Es gibt hier ein Lied, das Elbchaussee heißt und auch entsprechend edel und erlesen klingt, mit Streichern und Klavier. “Der Ort, wo meine Jugend glüht, ist nicht, wo Hamburg brennt / Tränen fließen unverblümt in mein Polohemd“, heißt es in Auf dem Golfplatz, dessen Wohlklang in Watte gepackt und mit dem goldenen Löffel dosiert wird. Von der „Teenage Angst im Reichensport“ ist da die Rede, später erkennt Albrecht Schrader in Was denkst du über mich: „Mein Privileg steht mir im Weg.“ Und diese Ausgangsposition nervt gewaltig.

Natürlich ist die Pubertät nicht leicht, auch nicht als Rich Kid. Natürlich bedeuten Status und Geld nicht, dass man keine Probleme hat, schon gar nicht als Heranwachsender. Aber habe ich Lust, mir von so einem anzuhören, wie groß damals seine Angst war, in den heruntergekommenen Alternative-Clubs als großbürgerlich aufzufliegen? Wenn ich selber, wie so viele andere, mir manchmal nicht einmal den Eintritt oder die Getränke dort leisten konnte? Will ich mir erzählen lassen, wie kompliziert es für Albrecht Schrader war, die richtigen Platten und Klamotten zu kaufen, um in der Subkultur akzeptiert zu werden, zu der er sich hingezogen fühlte? Wenn ich selber stets rechnen musste, welche wenigen Platten und Klamotten ich mir von meinem Taschengeld und Nebenjob-Verdiensten überhaupt kaufen konnte? Will ich mir ein „Ich bin ja gar nicht so, und ich kann ja auch nichts dafür“ anhören von jemandem, der all die Privilegien der Bourgeoisie trotzdem mühelos für sich in Anspruch nehmen kann? Soll „Die oberen Zehntausend klagen ihr Leid“ jetzt ein neues Pop-Subgenre werden? Sollen wir (die 99 Prozent) diese Musik auch noch kaufen? Nein. No fucking way.

Man muss nicht auf Donald Trump verweisen, um daran zu erinnern: Die Reichen sind nicht unbedingt deshalb reich, weil sie so klug und fleißig sind, sondern oft einfach nur deshalb, weil sie skrupellos sind, Glück hatten, bereits in ihren Reichtum hineingeboren wurden oder schlicht und ergreifend weniger Reiche für sich schuften lassen. Man muss auch nicht auf Thomas Piketty verweisen, um zu belegen, wie sehr sie in unseren gesellschaftlichen Strukturen weiterhin privilegiert sind und mit welchen Mitteln sie ihren Status manifestieren. All das kann man Albrecht Schrader nicht vorwerfen. Er kann genauso wenig für die Position, in die er hineingeboren wurde, wie wir alle, und er darf mit demselben Recht seine Gedanken in Kunst verwandeln wie jeder Mensch. Es macht auch keine Sinn, ein Pop-Album nach moralischen oder politischen Kategorien zu bewerten, es muss ästhetisch bewertet werden.

Aber auch mit diesen Einschränkungen wird Diese eine Stelle nur geringfügig besser. Was man von diesem Künstler verlangen kann, ist zumindest eine Reflexion seiner Privilegien, und die findet man hier durchaus. Wir sind die Eliten heißt ein Song, nicht ironisch oder entschuldigend, aber zumindest mit einem Hauch von schlechtem Gewissen. Das Problem dabei bleibt: Die immer wieder als Stachel im Fleisch besungene Position als Sohn einer reichen Familie, die als Grund vieler seiner Coming-Of-Age-Konflikte erkannt wird, ist doch zugleich die Eigenschaft, über die sich Albrecht Schrader hier am deutlichsten definiert. Und seine Reflexion ist ausschließlich eine persönliche, keine systemische. Den „Sozialismus der Gefühle“, den er in Wir sind die Eliten besingt, muss man sich leisten können. Genau wie die Entscheidung, ein Musiker zu werden, der eine derart eitle und elitäre Musik macht. Es gibt auf Diese eine Stelle viel Schönklang (Zoot Woman, Blumfeld oder die Münchner Freiheit kann man als Klang-Referenzen nutzen), aber für wirkliche Zugänglichkeit fehlt hier schlicht das Angebot zur Identifikation.

Ein Stück wie das rätselhaft-verschrobene Schwarzer Käfer macht das sehr deutlich, auch das schwelgerische Eigelstein mit seiner Helium-Stimme kann man in diese Kategorie einordnen. Die Zukunft liegt verborgen schließt das Album nur mit Gesang und Klavier ab, vielleicht geht es darin um einen Abschied. In Zäune inszeniert sich Albrecht Schrader auf wunderhübsche Weise als Sensibelchen, der Titelsong Diese eine Stelle zeigt mit dezentem Beat und behutsamen Klavierakkorden sein Gespür für Details: An einem Ort, in einem Film, an einem Körper oder in einem Song kann man Diese eine Stelle erkennen, die so besonders ist und aus der eine lebenslange Faszination erwachsen kann. Getrennt oder zusammen baut aus Small Talk beim Abendessen ein Lied rund um Oberflächlichkeiten und Banalitäten. Das soll vielleicht Alltag sein, das echte Leben. Aber es sind First World (und: First Class) Problems.

Polohemd trägt nur noch das jüngere Alter Ego im Video zu Auf dem Golfplatz.

Albrecht Schrader bei Facebook.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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