Künstler*in | Albrecht Schrader | |
Album | Soft | |
Label | Krokant | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung |
Shitesite ist zuletzt hart mit Albrecht Schrader ins Gericht gegangen. 2020 war das, beim Album Diese eine Stelle. Die Musik sei eitel, egozentrisch, elitär, lautet die Zusammenfassung der damaligen Bewertung. Diesmal kommt er besser weg, und das hat einen recht einfachen Grund: Albrecht Schrader hat seine Mitmenschen entdeckt.
Dax Werner (Twitter-Größe und Gitarrist bei The Screenshots) schreibt im Begleittext zu diesem Album sehr treffend, die früheren Platten dieses Künstlers würden nun „beinahe ein bisschen wie Studien wirken, die Soft erst möglich machten“. Das trifft auf die Musik zu, die auf diesem erstmals vollständig in Eigenregie produzierten Album wieder meisterhaft ist. Ein Stück wie Donnerstags 8-9 (dann steht im Terminkalender von Albrecht Schrader, wie man hier erfährt, „Psychotherapie“) ist toll ausgearbeitet, bei der Klasse von Gesangsmelodie und Arrangement im rätselhaften Kaktus und Büste darf man sicher an Brian Wilson denken. Es trifft aber auch auf die Texte zu. Hat sich der Hamburger auf dem letzten Album erstmals an autobiographische Texte gewagt, so finden wir nun auf Soft so etwas wie das Ende der Nabelschau.
„Du kannst auf mich zählen / und ich kann auf dich zählen“, heißt es schon gleich zu Beginn im Refrain von Kleine rote Zahl. In Frederike erklingt (wie mehrfach auf diesem Album) nicht nur ein strahlend eingängiges Klavier, das Joshua Kadison und Vanessa Carlton stolz gemacht hätte, sondern auch fast so etwas wie eine Abbitte im Vers „Ironie und Größenwahn, was habe ich dir angetan?“, dem dann noch das Versprechen „Sei gewiss ich bleib bei dir / sei gewiss, ich hab dich gern“ hinzugefügt wird. In Du wunderst dich über den Zeitpunkt stellt er sich womöglich die Frage, in welchen Situationen seine Hörer*innen sich eigentlich dieser Musik widmen, auch hier gibt es also ein Außen, das als relevant erachtet wird.
„Wir entschließen uns gegen Einsamkeit“, heißt es in Jeden Tag ein bisschen, und auch dabei lässt bereits das Personalpronomen aufhorchen, ebenso wie der Rhythmus, der fast so etwas wie Punch hat, und das erstaunlich üppige Finale mit E-Gitarrensolo. Das Lied lässt, wie etliche der zackigeren Momente von Soft, beispielsweise an Zoot Woman oder die Pet Shop Boys denken in seiner Kombination aus einer sehr ausgefeilten Ästhetik und einer intelligenten Zugänglichkeit. In Hey Adapter spricht Albrecht Schrader das zentrale Thema der Platte dann überdeutlich aus: „Wo ist die Verbindung? / gib mir die Verbindung!“
Die Erkenntnis, dass Kummer erträglicher wird, wenn man ihn teilt, und vor allem auch, dass man nicht der einzige Mensch ist, der an der Welt leidet, ist hier endlich präsent. Das eröffnet Albrecht Schrader nicht nur neue lyrische Möglichkeiten, sondern vor allem auch einen Raum, in dem sein Publikum sich wiederfinden kann – was nichts weniger als eine essenzielle Zutat für großartige Popmusik ist. Das schwungvolle und sehr lebendige So weird, so gut zeigt das. Eine Zeile wie “Als ich noch jung war / ging es mir seltsam” wäre auch früher schon von diesem Künstler denkbar gewesen, aber diesmal kommt ein „Meine Freunde sind da nicht anders“ hinzu, passenderweise auch ein sehr eingängiger Sound für das tröstliche Sich-Einander-Erkennen der Außenseiter, das hier besungen wird.
Ein skurriler Höhepunkt des Albums ist Cardigan Of Love. Man könnte es für blasiert halten, einen Disco-Track als Liebeserklärung an eine Strickjacke zu machen, aber selbst hier baut Albrecht Schrader neuerdings ein universelles „Everybody, everywhere, come on and join the cardigan of love“ ein – und den Gedanken, dass so ein besonders Kleidungsstück in seiner Kuscheligkeit letztlich auch ein Schutzanzug gegen die Welt da draußen sein kann. Ein Highlight ist auch Für dich bleibe ich ein Mann, in dem zu wundervollem Klavier und mit viel Feingefühl gekränkten männlichen Selbstbildern nachgespürt wird – einschließlich des Angebots, sich auszusprechen und Sorgen loszuwerden, verpackt in die herrlichen Zeilen „Du brauchst dich nicht zu übernehmen / du musst nicht über allem stehen / du musst nicht gleich drüber reden / du kannst auch erstmal, du kannst jederzeit den Rasen mähen.“
Albrecht Schrader geht hier also sogar über das (An-)Erkennen der Probleme anderer Leute hinaus, er bietet sich an, für diese Menschen da zu sein, Ballast auf sich zu nehmen, zusätzlich zum eigenen. Das ist eine erstaunliche Entwicklung, die seine Texte nicht nur deutlich erwachsener macht, sondern letztlich auch – passend zum Titel des Albums – seine eigene Sensibilität unterstreicht. Denn wer ernsthaft Verletzlichkeit, Schwächen und Ängste thematisieren will, sollte natürlich wissen, dass er nicht alleine damit ist.