Alex G Livealbum Rezension

Alex G – „Live From Union Transfer“

Künstler*in Alex G

Alex G Live From Union Transfer Review Kritik
„Live From Union Transfer“ entstand an drei Abenden in Philadelphia.
Album Live From Union Transfer
Label Domino
Erscheinungsjahr 2023
Bewertung Foto oben: (C) Domino / Chris Maggio

Es gibt auf Live From Union Transfer sehr viele Elemente, die man auch auf praktisch allen anderen Livealben der Musikgeschichte entdecken kann. Man findet mühelos ein leicht angeberisches Gitarrensolo (After Ur Gone), man hört den Szenenapplaus, als der Star der Show während des ersten Tracks (Headroom Piano) auf die Bühne kommt, und ein großer Teil des Programms stammt vom aktuellen Album des Künstlers (11 der 14 Songs sind dem 2022er God Save The Animals entnommen). Es gibt die obligatorische Beteuerung, dieses Publikum sei schöner, euphorischer und/oder lauter als das in allen anderen Städten zuvor („You fucked us up on that last one“, sagt Alex G nach Miracles), es gibt auch einen ausgeprägten Hang zu Pomp und Selbstverliebtheit (S.D.O.S.).

Es gibt auf der Platte, die Alex G im November 2022 während drei ausverkauften Konzerten in seiner Heimatstadt Philadelphia mitgeschnitten hat, aber auch einen Effekt, der höchst selten ist bei Livealben. Am Ende jedes Lieds jubelt das Publikum. So weit, so vertraut. Auf Live From Union Transfer muss man sich allerdings fragen: Warum klatschen und schreien diese Leute? Es gibt hier nämlich eigentlich sehr wenig, was Grund für Begeisterung liefern könnte, und – man muss das so deutlich sagen – live wird noch deutlicher als auf Platte, dass die Musik von Alex G einfach nicht sonderlich gut ist. Fast alles, was ein glorioses Konzerterlebnis möglich machen könnte, fehlt hier: Seine Stimme ist dünn, es gibt keine Passagen zum Tanzen, Mitsingen oder Ausflippen. Auch die Band klingt kein bisschen tight, erst recht angesichts der Tatsache, dass Alex G bereits seit vielen Jahren mit John Heywood (Bass/Gesang), Sam Acchione (Gitarre/Tasten/Gesang), Tom Kelly (Schlagzeug) und Molly Germer (Geige/Tasten/Gesang) zusammenspielt und zum Zeitpunkt der Shows im Union Transfer auch schon wieder eine komplette Tournee mit ihnen absolviert hatte.

So wie Runner hätte vielleicht Soul Asylums Runaway Train geklungen, wenn es bloß ein Angebot zum Mitleiden gewesen wäre, nicht zum Trost. Hope vereint einen straighten Beat und viel Melancholie, wie man es beispielsweise von Tom Petty kennt, aber ohne dessem Grandezza. An einer Aufnahme wie Early Morning Waiting irgendetwas zu finden, was nicht vollkommen gewöhnlich ist, kommt einer ziemlich großen Aufgabe gleich. Auch Cross The Sea will bewegend sein, wird aber bloß langweilig. No Bitterness erlaubt sich so viel Nähe zu Jazz und Prog Rock, dass die reichlich schlichte Aussage („Ach, könnten wir doch alle noch einmal so unschuldig sein wie Kinder!“) noch etwas nervtötender wird.

Natürlich liegt in genau solchen Aussagen letztlich der Appeal von Alex G und natürlich hat die Unvollkommenheit hier System. Auch auf Live From Union Transfer spielt er zu einer Gefolgschaft aus Gesinnungs- und vor allem Leidensgenoss*innen, die nicht weit weg ist von einer Sekte. Bezeichnenderweise erscheint das Album in limitierte Auflage von 3500 Stück auf orangenem Vinyl – für die Kult-Anhängerschaft genau das richtige Format. Alex G inkarniert für sie den Weltschmerz, und er benennt in seinen Texten die naheliegenden Schuldigen dafür: Gott, die Eltern, das Schweinesystem.

So kommt Ain’t It Easy aus dem Punkt kurz vor der totalen Resignation, aus dem auch Nirvana so viele spektakuläre Momente ihres Schaffens geholt haben. Blessing ist in erster Linie auf Provokation und Irritation aus und erreicht diese Effekte auch sehr zielsicher. Gretel wird immerhin originell in der Kombination seiner Elemente, Mission ist einer der ganz wenigen Songs der Platte, in denen so etwas wie Spannung und ein einzigartiger Charakter entstehen. In Miracles wird seine Leidenschaft erkennbar, auch wenn letztlich die Mittel fehlen, um daraus wirklich einen großen Pop-Moment zu machen. Ganz am Schluss in Forgive scheinen sich die fünf Menschen auf der Bühne dann doch als Band gefunden zu haben, wenn auch ausgerechnet in etwas, das so konventionell ist wie Bluesrock.

Den Verdacht, dass die Bewunderung für Alex G (er hat Songs etwa mit Frank Ocean, Porches und Japanese Breakfast gemacht; Acts wie die wunderbare Beabadoobee benennen ihn als wichtigen Einfluss) deutlich größer ist als sein musikalisches Talent, bestätigt der 30-Jährige mit dieser Platte selbst. Live From Union Transfer ist gestörte Musik für gestörte Menschen in einer gestörten Welt. Und es ist natürlich gut, dass es das gibt.

Alex G. speilt Runner live, allerdings nicht im Union Transfer.

Website von Alex G.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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