Künstler | Alexis Taylor | |
Album | Beautiful Thing | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
„I’m dreaming another life / it’s one I can hold inside“, singt Alexis Taylor als erste Zeilen seines heute erscheinenden vierten Soloalbums. Man möchte wetten: In diesem Leben, von dem er träumt, bestehen die Straßen aus Vinylplatten, die Wolken aus Noten, die Verkehrsströme aus Tanz, die Fabriken aus Synthesizern. Denn das ist der Kern, nicht nur des Openers Dreaming Another Life, sondern von Beautiful Thing insgesamt: Musik wird hier zum Zentrum allen Denkens.
Am Anfang des Songs steht ein Beat, der nicht aus dem Rechner zu kommen scheint, sondern von echten Trommeln, vielleicht aus einem Urwald. Dann gibt es viele Geräusche drumherum, die sonst wohl nur zur Untermalung von Märchenfilmen und Zaubertricks zum Einsatz kommen dürfen, und nur ein paar, die sich klar einem Musikinstrument zuordnen lassen: eine E-Gitarre, die kurz verstört, und am Ende ein verwehtes Saxofon. Auch diese Methode ist typisch für das Album, das in Zusammenarbeit mit Produzent Tim Goldsworthy (Gründer von DFA Recordings, Mitglied von LCD Soundsystem) entstand. „Jedes Mal, wenn wir einen Sound mit etwas Dysfunktionalem oder Unvorhersehbarem bearbeitet haben, kamen die wirklich interessanten Dinge heraus. Gerade deshalb bin ich so zufrieden mit der Platte: Weil wir auf diese Art von Experimentieren gesetzt haben, statt den üblichen Pfaden zu folgen“, sagt Alexis Taylor.
Beautiful Thing, der folgende Track, der wie eine Acid-House-Variation der Klavierfigur aus Robbie Williams‘ Feel klingt, war die Initialzündung für diese Arbeitsweise. Für das Demo hatte Taylor alle möglichen Rhythmusgeräusche erzeugt, indem er auf seine Bassgitarre einprügelte. Als Goldworthy diese Sounddateien auf seinem Computer öffnen wollte, waren die einzelnen Spuren nicht mehr synchron. Das reizvolle Ergebnis bezeichnet Taylor nun treffend als „klappernd, sogar hässlich für einen Song mit diesem Titel“. Nach diesem Zufallsttreffer merkten sie, „wie weit wir uns mit diesem experimentellen Ansatz wirklich hervorwagen konnten, ohne dass die Musik zu bloßem Geräusch verkommt“.
Suspicious Of Me ist ein weiterer Song, dem man diese Methode deutlich anhört, mit fast chaotischen Drums und Percussions. Taylors Bekenntnis „I’ve given up“ klingt darin schon wie eine Befreiung lange bevor er das „and I feel so much better“ folgen lässt. Wie sehr sein Gesang hier immer wieder zum zentralen Element wird, überrascht nach wie vor bei einem Mann, den viele wegen seiner Arbeit mit Hot Chip noch immer in erster Linie als Knöpfchendreher und Studiotüftler wahrnehmen. Etwa in Deep Cut wird zu einem extrem verschleppten Beat deutlich, wie sehr diese zurückhaltende, höfliche, beschwichtigende Stimme – alles Eigenschaften, die extrem rar sind im Tanzmusikgeschäft – bei Alexis Taylor gerade zum Markenkern gehört. Genauso wie die Fähigkeit, nie einen Konflikt zwischen Pop und Avantgarde, Dancefloor und Geist, retro und modern aufkommen zu lassen, wie das Presseinfo es über sein Schaffen bei Hot Chip treffend feststellt, sondern all dies stets zur Symbiose zu führen.
Ebenso sichtbar wird, wie schon auf den Solo-Vorgängern Rubbed Out (2008), Await Barbarians (2014) und Piano (2016), wie irrelevant hier Kategorien wie Tanzbarkeit und Clubtauglichkeit sind. Alexis Taylor will mit seinem Solowerk nicht die Beine seiner Hörer erreichen, sondern tatsächlich die Herzen. „Ich trete mit Hot Chip schon ewig lange auf, meistens auf ziemlich großen Bühnen. Mich begeistert es, dort elektronische Musik zu spielen und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Publikum zu spüren, die gemeinsame Euphorie. Gleichzeitig war ich aber auch immer wieder auf kleineren Bühnen unterwegs, mit About Group, mit Fimber Bravo und mit anderen Projekten. Und da lag der Schwerpunkt viel mehr auf dem eigentlichen Song, was eine ganz andere Art der Reaktion im Publikum hervorbringt. Ich habe mittlerweile viele Konzerte gespielt, wo ich einfach am Klavier sitze, in einem bestuhlten Saal, wo niemand tanzt – weil das in diesem Kontext lächerlich wäre – und niemand spricht und das ist eine sehr konzentrierte Atmosphäre. Das hat mir gezeigt, dass sich die Leute wirklich auch für die Kompositionen interessieren, und das hat mich bei der Arbeit an den neuen Stücken sehr beeinflusst“, sagt Alexis Taylor.
Ein Lied wie Out Of Time zeigt, wie das gemeint ist: Der Anfang klingt wie eine verschämte Reminiszenz an Purple Rain, auch der Rest des Songs passt perfekt zur Atmosphäre, die mit den Zeilen „When I feel more lost than I thought I could be“ zusammengefasst ist. Oh Baby ist ein absichtlich naives Liebeslied, in dem nach zwei Wörtern eigentlich schon alles gesagt ist. „Oh baby“, heißen diese zwei Wörter tatsächlich, und das ist bei ihm ebenso überraschend wie im Kontext dieses Albums der treibende Boogie und das hämmernde Klavier. I Feel You erweist sich als Klavierballade mit viel Hall auf der Stimme und ein paar Gespenstereffekten im Hintergrund, spätestens als in der zweiten Strophe das Schlagzeug einsetzt, würde das auch zu waschechten Schmusebarden passen. Als Einflüsse für Beautiful Thing benennt Taylor passend dazu besonders intime Musik wie das Frühwerk von Spiritualized, die Balladen von George Michael, die Tape-Experimente von Miles Davis und an erster Stelle die Songs von Talk Talk. Er sagt aber zugleich: „All die Referenzen und auch die Technologie sind natürlich wichtig. Aber worum es mir immer am meisten geht, ist eine Sache, bei der man sich nie sicher sein kann: Was lässt ein Song dich fühlen?“
Da ist er wieder: Der Beleg dafür, wie intensiv sich Alexis Taylor mit seiner Musik auseinandersetzt, diesmal auch in den Texten. Roll On Blank Tapes wird eine Erinnerung an das Zeitalter der Musikkassette und zeigt nicht nur, wie schnell sich die Zeiten ändern, sondern auch, wie (vergleichsweise) schnell sich Vorurteile überwinden lassen, in diesem Fall: das Mitschneiden von Musik aus dem Radio auf Kassetten, die Gefahren von Skateboarden, die Seelenlosigkeit von Drumcomputern. „I need a hit song“, singt er in A Hit Song, einer weiteren fast lupenreinen Klavierballade, und meint das natürlich nicht wie ein verzweifelter Songschreiber, der schon lange keinen Erfolg mehr vorzuweisen hatte. Vielmehr ist der Hit hier für ihn als Hörer das 3-Minuten-Glück, eine Medizin, ein Trostpflaster, ein Aufputschmittel. Er weiß, wie zuverlässig es funktioniert, trotz der Erkenntnis „Hit songs don’t always sell the truth.“
There’s Nothing To Hide hat eine sehr verträumte Gitarre, die hinter einem dicken Vorhang aus verfremdeten Bläsern zu spielen scheint, und krönt das mit einer hübschen Xylofonmeldoie. „There’s nothing to hide in a song / there’s nothing to know outside the song” sind die einzigen Zeilen des Stücks, die stets wiederholt werden. Auch hier heißt also die Botschaft: Im Lied steckt die Wahrheit, der Kern der Welt. Und es ist natürlich entzückend zu erleben, mit wie viel Könner-, aber auch Leidenschaft Alexis Taylor dieses Credo lebt.