Künstler | All We Are | |
Album | Providence | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
All We Are haben sehr viel zu erzählen über ihr drittes Album Providence, und was sie berichten, hat schnell den Effekt, dass man am liebsten Teil dieses Trios wäre. Denn es klingt erstens nach einem starken Zusammenhalt und zweitens nach einer Menge Spaß. Wer den Vorgänger Sunny Hills (2017) und die Entwicklung der Band danach kennt, wird beides womöglich überraschend finden.
Fangen wir mit dem Zusammenhalt an: Richard O’Flynn kommt aus Irland und spielt das Schlagzeug, die Norwegerin Guro Gikling ist am Bass im Einsatz und Gitarrist Luis Santos stammt aus Brasilien. Sie alle haben sich in Liverpool an der Uni kennengelernt. Nach Gründung der Band, zwei Alben und den dazugehörigen Tourneen gingen sie alle aber zunächst ihre eigenen Wege, auch mit Soloaktivitäten. „Es hat wirklich gut getan, einmal nicht so vieles bedenken zu müssen. Seit wir All We Are gegründet haben, war es die erste Gelegenheit für uns, etwas Abstand zu gewinnen“, sagt Luis Santos. „Wir haben ein paar andere Projekte mit Freunden begonnen, nur zum Spaß, um ein bisschen Zeit in einer anderen Welt zu verbringen. Erfahrungen außerhalb der Band zu sammeln, hat uns letztlich wieder zusammengebracht und unseren Horizont erweitert.“ Wer trotzdem noch Zweifel an der Dauerhaftigkeit des Zusammengehörigkeitsgefühls innerhalb der Band hat, wird wohl spätestens bei der Nachricht beruhigt sein, dass die anderen beiden Mitglieder die Trauzeugen waren, als Richard O’Flynn im vergangenen Jahr geheiratet hat.
Die Sache mit dem Unterschied zu Sunny Hills ist ebenso bewusst aus der Band heraus entstanden. „Unser wichtigstes Anliegen mit diesem Album war es, die positiven Dinge zu feiern. Wir hätten nie geahnt, in was für eine Lage der Welt hinein wir die Platte veröffentlichen würden. Aber unser Ziel war immer, den Menschen etwas Spaß inmitten all des Kummers zu bereiten“, sagen All We Are. Richard O’Flynn geht noch einmal ganz explizit auf diese Zielsetzung ein: „Wir wollten uns mit diesem Album weiterentwickeln. Sunny Hills hat genau das erreicht, was wir erreichen wollten, die Katharsis und so weiter. Die neue Platte ist mehr wie eine Heilsalbe.“
Diese Aussage führt dann auch sehr direkt zum Spaßfaktor, der bei All We Are diesmal noch etwas ausgeprägter war. Richard ist Hausmeister in einer leerstehenden Schule, dort hat das Trio allen Platz und alle Zeit der Welt, um an seiner Musik zu arbeiten. „Well I got all the time in the world / I’m not worrying“, heißt es passenderweise im Titelsong Providence gleich zum Auftakt der Platte. Der Bass ist funky, aktiv und lebendig wie in vielen Songs des Albums, und auch dieser Fokus ist ein sehr bewusst gewählter: Die Band hat für die Aufnahmen alles mit Postern von exotischen Orten tapeziert, außerdem ein Surfbrett an die Decke gehängt, Gitarrist Luis Santos hat angeblich alle Solos barfuß und oben ohne eingespielt, zudem haben All We Are viele Freunde eingeladen, die als Chor mitgesungen haben.
Man hört diese positive Atmosphäre beispielsweise in Heart Of Mine sehr deutlich, das einige Eighties-Anleihen integriert, oder im hochgradig tanzbaren Not Your Man, das auch dank der Bläser, Percussions und „the best bass line I’ve ever written“ (Guro) so interessant wird. Gute Laune und Optimismus sind auch in Bad Advice unverkennbar, der Song zeigt aber zugleich das zentrale Problem von Providence: Das ist okay und kompetent, aber es wird nie strahlend und wirklich mitreißend. Deliver It ist noch so ein Beispiel: Der Song schafft es irgendwie, zugleich funky und einschläfernd zu sein.
Insgesamt fehlt der Platte etwas Punch, Gemeinheit und Angriffslust, manchmal verlieren sich All We Are auch in Details wie bei Beauty In Loss, in dem Eleganz und Wehmut aufeinander treffen. Vielleicht liegt das auch ein wenig am Selbstverständnis: „Wenn du ein Trio bist und so demokratisch arbeitest wie wir es tun, kämpfen sehr viele verschiedene Ideen miteinander, und auf den vorigen Platten kann man das auch hören“, hat Luis erkannt. Nach Ansicht von Richard hat der neue Produzent Dave McCracken dieses Problem beseitigt: „Er hat uns dabei geholfen, ein paar der unnötigen Dinge zurückzufahren, die sonst manchmal die anderen Ideen überlagert haben. Wir konnten diesmal besser die Essenz zur Geltung bringen.“ So ganz ist das aber auch hier noch nicht gelungen.
Der Mosaik-Charakter etlicher Songs sorgt mitunter dafür, dass sie sich viel länger anfühlen, als sie eigentlich sind. Manchmal fehlt auch eine stärkere Gesangsstimme, um ein Lied wirklich gut zur Geltung zu bringen, wie man in When You Cry beobachten kann, das die große Geste und ordentlich Pathos probt. Bei How You Get Me könnte man meinen, All We Are seien einfach zu jung, um zu bemerken, dass das wie eine dezent experimentierfreudige Variante von Wet Wet Wet klingt (also nicht gut). Man muss wohl Teil der Band sein, um diesen Song wie Richard abzufeiern: „Das Lied fängt die Essenz des Albums ein, diese Gang-Mentalität. Es ist einfach und fröhlich. Als wir es aufgenommen haben, konnten wir gar nicht genug davon bekommen.“
So schwer es fällt, diese Begeisterung zu teilen, so offenkundig haben All We Are auf Providence aber auch bereits den Schlüssel gefunden, um ihre Lieder nicht mehr so sehr nach Fingerübung klingen zu lassen: Authentizität. Die Single L Is For Lose unterstreicht das. „Sie zeigt wirklich, wer wir sind und ist voller Persönlichkeit“, sagt Bassistin Guro Gikling treffenderweise. Genau dadurch gelingt es, die vielen guten Ideen dieses Songs gut zusammenzuführen und ein Werk mit Charakter entstehen zu lassen. Ähnliches kann man in Elegy beobachten: Der Track ist etwas zurückgenommen, aber gerade dadurch cool und überzeugend.
„Wir waren uns ziemlich früh einig, dass wir diesmal auf dem Cover sein wollten. Das liegt auch daran, dass die Texte jetzt so ehrlich und direkt sind“, sagt Rich, was man vielleicht als Indiz dafür werten darf, dass die Band diesen Weg weiter gehen wird, schließlich betont auch Guro: „Die ersten beiden Alben hatten so etwas Geheimnisvolles an sich. Sowohl hinsichtlich ihrer Cover als auch bei dem, was das alles bedeutet. Diesmal wollten wir auf dem Cover sein. Wir wollten die Gesichter der Menschen zeigen, die dahinter stehen, unsere Persönlichkeiten. Ich denke, das trägt zur Wärme und Intimität dieses Werks bei.“