Alle Farben – „Synesthesia“

Künstler*in Alle Farben

Alle Farben Synesthesia Review Kritik
Echte Instrumente und Gaststimmen prägen „Synesthesia“.
Album Synesthesia
Label Sony
Erscheinungsjahr 2014
Bewertung

Die Frage, wie bescheuert „Alle Farben“ als Künstlername für einen aus Berlin-Kreuzberg stammenden DJ ist, stellt sich auch nach mehr als zehn Jahren, in denen Frans Zimmer unter diesem Moniker bereits aktiv ist, noch immer mit voller Berechtigung. Genauso legitim sind Zweifel an der Idee, dieses Debütalbum mit einem typischen, zurückhaltenden EDM-Sound beginnen zu lassen, zu dem dann – tatsächlich – eine niedliche Frauenstimme diverse Farben benennt, mündend in der Zusammenfassung „Alle Farben“.

Das Erstaunliche dabei ist, wie leicht man das auf Synesthesia (Untertitel: I Think In Colours) überhören kann. Denn der Sound von Alle Farben ist fast immer so einnehmend und effizient, dass er einem kaum Gelegenheit lässt, sich zur Betrachtung der Meta-Ebene etwas aus ihm zurückzuziehen. Das direkt nach dem Intro folgende Leaves gibt mit Soulstimme, Klavier und einem einfachen Beat die klangliche Richtung vor, auch Down setzt auf eine anheimelnde Stimme und ein einfaches Piano als Basis, sodass man an Morcheeba mit mehr Punch oder Robert Miles mit ein bisschen Soul-Erfahrung denken kann. Und dann kommt der Höhepunkt dieses Albums: She Moves (Far Away) wird enorm eingängig und leichtfüßig, auch die Gaststimme des Neuseeländers Graham Candy hebt das Stück heraus, wobei zugleich ein typischer Effekt dieser Platte deutlich wird: Man kann in diesem Song kein Element herausheben, das besonders brillant wäre oder es zum Hit machte. Es ist die gekonnte Kombination vertrauter Zutaten, die im Zusammenspiel so attraktiv wirkt.

Frans Zimmer scheint sehr genau um diese Qualität zu wissen, denn zumindest beim Titel für sein erstes Album hat er (wohl deshalb) eine sehr gute Wahl getroffen. Synästhesie meint schließlich das Phänomen, dass man die Welt zwar mit verschiedenen Sinnen wahrnimmt, uns das Ergebnis aber dennoch als ein Ganzes erscheint. Mit diesem Ansatz hat der Künstler eine erstaunliche Erfolgsgeschichte hingelegt. Sein Mix aus Pop, Minimal House und Soul brachte ihm erst auf Soundcloud ein immer größer werdendes Publikum, das kulminierte in einem Konzert vor mehr als 30.000 Fans auf dem Tempelhofer Feld im Mai 2013. Das ein Jahr später veröffentlichte Debütalbum erreichte die Top20 in Deutschland.

Das ist wohl auch gelungen, weil es bei Alle Farben im Zweifel entspannt zugeht, die Musik ist eher für die Lounge geeignet als fürs Berghain, auch wenn der instrumentale Titeltrack etwas mehr Druck bekommt und auch mit einer Trompete als überraschend guter Idee aufwarten kann, oder sich das ebenfalls instrumentale D. Punk als lupenreiner (und wirkungsvoller) Justice-Klon erweist. Diese Momente zusätzlicher Dynamik sind wichtig für das Gelingen von Synesthesia, denn in Tracks wie Sometimes (ebenfalls mit Graham Candy) kann man dann doch das Formelhafte dieser Musik erkennen. Auch in Lonely Land, für das der Kanadier Sway Clarke II den Gesang beisteuert, kann man attestieren: Diese Kombination aus vermeintlicher Ursprünglichkeit (das Gitarrenpicking, der simple Rhythmus, die zurückgenommene Stimme) und etwas Modernität hat man schon tausendfach gehört, auch besser.

Für Abwechslung sorgen nicht zuletzt die Stimmen, Jenny Rossander alias Lydmor aus den Niederlanden ist dabei der dritte Gaststar. In Because Of You reicht ihr schöner Gesang fast schon aus, um den Song zu tragen, dazu kommt hier vergleichsweise viel Unmittelbarkeit. Das mit Streichern angereicherte On And On führt sie in Richtung Goldfrapp. Die Stücke ohne Gesang wie der verspielte Album-Schlusspunkt Metaphysik der Röhren (benannt nach dem Roman von Amélie Nothomb, den Frans Zimmer sehr gerne mag) profitieren indes davon, dass bei Alle Farben durchaus auch mit echten Instrumenten gearbeitet wird, etwa der beinahe verschämt verfremdeten E-Gitarre in Blue oder der Orgel, die auf Synesthesia immer wieder eingesetzt wird, um die Tracks zu erden und ihnen ein bisschen zusätzliche Wärme zu verleihen.

Im Rückblick vielleicht am erstaunlichsten an dieser Platte ist, wie wenig dominant hier Beats und Effekte sind, die in der Welt, aus der Alle Farben kommt, doch sonst so gerne bombastisch in den Vordergrund gestellt oder bis ins kleinste Detail poliert werden. Seine Stärke liegt in einem anderen Bereich, der sich als viel zentraler für Synesthesia erweist: dem Spiel mit Stimmen und Stimmungen.

Das Video zu She Moves ist natürlich sehr bunt.

Website von Alle Farben.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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