Künstler | Alli Neumann | |
EP | Monster | |
Label | Jive | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Ein Monster, das ein wenig wie eine grüngefärbte Version von ihr selbst aussieht, trägt Alli Neumann auf dem Cover ihrer zweiten EP auf den Schultern. Man könnte glauben, sie habe dieses Wesen gerade im Kampf besiegt oder auf der Jagd erlegt und wolle damit nun wohl zeigen: Sie hat keine Angst, sich mit Monstern anzulegen – auch nicht mit denen, die Teil ihrer selbst sind.
Dieser Eindruck wird im Titelsong bestätigt. Monster ist funky, extrem lässig, aber auch von einer spürbaren Aggressivität getrieben. Die Künstlerin weiß, dass es die Erfolgsaussichten im Leben erhöht, ein Monster zu sein, aber auch, dass es Kraft braucht, das Monster in uns selbst im Zaum zu halten. Wer die Stimme der Hamburgerin, die zuvor die EP Hohes Fieber veröffentlicht hat und auch schon als Schauspielerin aktiv war (im Film Wach von Kim Frank), hier zu ersten Mal hört, wird wohl frappiert sein, wie sehr sie an Nena erinnert. Trotzdem hat der Sound von Alli Neumann eine erstaunliche Eigenständigkeit, die gerade daraus erwächst, dass sie in ihre Lieder lieber ein bisschen Chaos packt als streng im Format bleiben.
Die Leichtigkeit, mit der sie das macht, hat man im deutschen Pop tatsächlich zuletzt nicht allzu oft erlebt, auch die Attitüde in den Texten passt wunderbar dazu. Was ist denn los erzählt von einem Seitensprung, vielleicht auch bloß vom Verdacht davon. Es geht einerseits darum, dass das Wort „Betrug“ so groß werden kann, dass es die Möglichkeit einer Erklärung torpediert. Andererseits ist der Song ein Plädoyer dafür, das alles nicht so eng zu sehen. Kann passieren, kann sogar Spaß machen, kann ich mir in jedem Fall rausnehmen – das ist die Botschaft von Alli Neumann. Auch hier bleibt die Musik unberechenbar und passt damit bestens zum Thema: Irgendwie ist das eine Ballade mit Streichern und allem Pipapo, am Ende wird es aber plötzlich extrem tanzbar.
Einen erheblichen Beitrag zum ebenso zeitgemäßen wie individuellen Sound hat ganz unverkennbar Produzent Franz Plasa geleistet. Ein Lied wie das reduzierte Orchideen, das fast nur Gitarre und waidwunden Gesang enthält, lässt wahlweise an Purple Rain denken oder an eine weibliche Entsprechung von Jan Plewka, dessen Band Selig einst ebenfalls von Plasa betreut wurde. Vergleichsweise opulent wird hingegen Die Schöne & Das Biest, das zeigt: Alli Neumann weiß um ihre Launen, Spleens und Neurosen – aber auch darum, dass sie keine Defizite sind, sondern Teil dessen, wie sie sich selbst definiert. Sie hat sich damit arrangiert, und ihre Mitmenschen müssen das nun eben auch schaffen.
Auch Maybe Baby, das die EP abschließt, ist ein Manifest der Unabhängigkeit: Die Sängerin betont darin, dass sie für emotionale Unverbindlichkeit nicht (dauerhaft) zur Verfügung steht – oder allenfalls zu den von ihr festgelegten Bedingungen. „Mein Maybe Baby, Zeit für dich, dich wieder anzuziehen“, heißt eine der Zeilen, noch mehr lässt der Vers „Denn ich / bin für immer und mich” aufhorchen, mit dem Alli Neumann tatsächlich Rio Reiser uminterpretiert. Das ist nicht nur mutig und clever, sondern ein weiterer Beweis, dass die Begegnung mit einem Monster auch sehr lohnend sein kann.