Alt-J – „Reduxer“

Künstler Alt-J

Alt-J Reduxer Review Kritik
Mit „Reduxer“ erfüllen sich Alt-J einen HipHop-Traum.
Album Reduxer
Label Infectious
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Man kann darin die ultimative Marketing-Maßnahme sehen: Alt-J, bisher mir sehr ruhiger Musik zu einigem Ruhm vor allem in ihrer britischen Heimat gekommen, lassen die Songs ihres im vergangenen Jahr veröffentlichten dritten Albums Relaxer neu bearbeiten. Sie wenden sich dazu an Musiker aus einem Genre, das deutlich populärer ist als der ätherische „Alternative Folk“, dem ihre eigene Musik zugeordnet wird: Rap. Mehr noch: Sie suchen sich HipHop-Künstler aus gleich vier Kontinenten aus, die sich auf Reduxer ihrer Vorlagen annehmen sollen, um eine möglichst maximale internationale Sichtbarkeit zu erzielen.

Ganz von der Hand zu weisen sind die Vorteile, die solch ein Vorgehen für Alt-J haben, sicherlich nicht. Joe Newman, Gus Unger-Hamilton und Thom Green haben aber mindestens drei gute Argumente, warum das morgen erscheinende Reduxer deutlich mehr ist als eine Plattform für bis zur Schmerzgrenze ausgereiztes Cross-Marketing.

Erstens haben sie solche Tricks nicht nötig. Nachdem 2012 bereits ihr Debüt An Awesome Wave mit einem Mercury Prize und dem Ivor Novello Award ausgezeichnet wurde, erreichten sie 2014 mit dem folgenden This Is All Yours den Spitzenplatz in den englischen Albumcharts, auch für den Grammy und den Brit Award war diese Platte nominiert. Relaxer schließlich erreichte ebenfalls die Top10 im UK, insgesamt hat die Band aus Leeds mehr als zwei Millionen Platten verkauft und mehr als eine Milliarde Streams erreicht. Die Karriere von Alt-J steht auf sehr soliden Füßen, auch ohne dass sie sich zwanghaft anderen Marktsegmenten aufdrängen müssten.

Zweitens hängen die Musiker ihr Fähnchen nicht jetzt plötzlich in den Charts-Wind, sondern sind seit langer Zeit bekennende Rap-Fans, die Elemente aus diesem Genre immer wieder auch ins eigene Werk einfließen lassen. „Es war immer ein Traum von uns, gemeinsam mit HipHop-Künstlern eine neue Vorstellung unserer Musik entwickeln zu können. Mit Reduxer geht dieser Traum in Erfüllung“, schreiben sie auf Instagram. „Mit dem Ergebnis könnten wir nicht glücklicher sein. Dieses Album ist im Wortsinne global, mit Künstlern aus aller Welt. Nachdem wir sehr lange daran gearbeitet haben, freuen wir uns extrem, es jetzt mit euch allen teilen zu können.“

Drittens überzeugen dabei schlicht und ergreifend die Ergebnisse. Das Tracklisting von Relaxer wurde beibehalten, der Auftakt 3WW wird hier vom Londoner Little Simz mit einem sehr lässigen Rap bereichert, der perfekt zum entspannten Backing passt. Die britische Fraktion ist bei den Rap-Remixes auch sonst durchaus prominent vertreten. Jimi Charles Moody packt in seiner Version von Hit Me Like That Snare sehr viele Genres sehr überzeugend (und cool) zusammen. Rejjie Snow aus Dublin wechselt in seiner eigenen Interpretation desselben Songs clever zwischen entspannt und beschwingt. Adeline (mit Paigey Cakey und Hex) ist hingegen etwas monoton und gewöhnlich und damit der einzige Schwachpunkt von Reduxer.

Zu den „Fans, Freunden und Wegbegleitern“, wie Alt-J die Riege der hier vertretenen Künstler nennen, gehört für die deutsche Ausgabe des Albums auch der Berliner Kontra K, der sich überzeugend an Cold Blood heranwagt. Frankreich ist durch Lomepal vertreten, der dort Platten mit Platin-Status herausbringt und sich hier mit Stil und Gefühl 3WW annimmt. Das House Of The Rising Sun steht in der neuen Version in Australien, wo Tuka zuhause ist, dessen sehr softe Überarbeitung zu The Weeknd passen würde, wenn der Geschmack hätte und irgendwann in seinem Leben schon einmal in die Nähe von Adrenalin gekommen wäre. Ein Produzent aus Honduras (Trooko) und ein Rapper aus Puerto Rico (PJ Sin Suela) sind die treibenden Kräfte bei Pleader. Der Gesang wird darin so lange mit Effekten malträtiert, bis er klingt, als stamme er von gregorianischen Mönchen, was mit der teils auf Spanisch gerappten Strophe einen irren Kontrast ergibt.

Trooko hat gemeinsam mit The Alchemist auch die Grundlage für die neue Version von Deadcrush gelegt, bei der zudem Danny Brown mitwirkt. Das Ergebnis ist einer der Höhepunkte dieser Remix-Platte und würde in jedem Fall auch Cypress Hill gefallen. GoldLink packt eine subtile Spannung in Last Year. Pusha T und Twin Shadow erfinden In Cold Blood neu, bewahren dabei aber zugleich ein paar Qualitäten, die es auch bei Alt-J gibt: keine Hektik, aber Biss. Das ist im Ergebnis tatsächlich spannend nicht nur für Fans der Orginale, sondern wohl auch die Möglichkeit für Alt-J, neue Zielgruppen zu erreichen, ohne ihre ästhetischen Prinzipien zu verraten. Also kein Marketing-Overkill, sondern eine Win-Win-Situation.

Autos, Waffen, Drogen: Das Video zur neuen Version von Deadcrush ist deutlich mehr Rap als Folk.

Homepage von Alt-J.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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