Künstler | Amber Arcades | |
Album | European Heartbreak | |
Label | Heavenly | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
European Heartbreak? Das ist nicht etwa eine Krankheit, die kürzlich bei Martin Schulz diagnostiziert wurde. Es ist das zweite Album von Annelotte de Graaf alias Amber Arcades. Und die Niederländerin versteht es darauf tatsächlich, Politik und Persönliches, den Blick auf die Welt als Ganzes und ihren sehr privaten Herzschmerz zu verbinden.
Für den ersten Teil davon ist Goodnight Europe ein treffendes Beispiel. Es kann hier vielleicht einfach um eine Abreise nach Übersee gehen, aber tatsächlich klingt das Lied wie ein Schwanengesang auf die Idee der europäischen Einheit. Die Trauer darüber hält sich in Grenzen, vielleicht weil sich dieses Ende so lange angekündigt hatte. Auf der anderen Seite stehen Bekenntnisse wie Something’s Gonna Take Your Love Away. Die Mischung aus Angst und Gewissheit, die im Titel steckt, wird hier so eindringlich, weil die Zuneigung zu diesem Geliebten, das Bedürfnis nach dieser Liebe so groß ist. “The only way I could love you more / is if you said: this time we’re through”, singt die 29-Jährige dazu.
Man kann den Versuch vermessen finden, einen so weiten Bogen zu spannen, es gelingt auf European Heartbreak jedoch vorzüglich. Das liegt zum einen am überaus einnehmenden Sound von Amber Arcades, den man schon vom Debütalbum Fading Lines kennt, das vor zwei Jahren herauskam. Where Did You Go wird verspielt und retro und hätte eines der Lieder sein können, die Lenny Kravitz für Vanessa Paradis geschrieben hat. Alpine Town gönnt sich etwas mehr Easy Listening, I’ve Done The Best ist robuster als der Album-Durchschnitt und ruft so Assoziationen etwa zu Courtney Barnett hervor. Das schwelgerische Antoine tastet sich vorsichtig in Richtung Country vor, Self-Portrait In A Car At Night ist ein gutes Beispiel für das Fundament, auf dem die Lieder von Amber Arcades meist stehen: Es gibt nur eine akustische Schrammelgitarre, zu der sich dann sehr schicke Streicher gesellen.
Zum anderen ist das Feingefühl frappierend, mit dem diese Künstlerin die Welt wahrnimmt, und die Intelligenz, mit der sie diese Wahrnehmung in ihr Werk überführt. Die Sensibilität von Amber Arcades ist keine, die aus Egozentrik erwächst, sondern aus Reflexion. Ihre Herangehensweise an das Leitthema für European Heartbreak beweist das: „Es geht um die Konzepte und Geschichten, die wir erfinden, um die von uns erfahrene Wirklichkeit verstehen und um uns fühlen zu können, als bedeuteten wir etwas“, sagt sie. „Es geht auch um die sehr wandelbare und manchmal widersprüchliche Natur dieser Geschichten. Wie beim Konzept der romantischen Liebe. Gibt es so etwas überhaupt? Manchmal fühlt sie sich so greifbar an, dass sie meine ganze Welt wird, in anderen Momenten bin ich wieder überzeugt, dass sie nur ein Schwindel ist, auf den ich hereinfalle. Beide Empfindungen fühlen sich gleichermaßen wahr an, aber eben zu unterschiedlichen Zeiten.“
Das führt zu Liedern wie Hardly Knew, das als Ausgangsposition eine Sackgasse hat. „We settled for a future that we hardly knew”, heißt es wundervoll wehmütig, mit George Harrison-Gitarre und Nina Persson-Weltschmerz. Der Blick darauf hat zugleich eine gewisse Gelassenheit, die nicht nur aus dem Relativieren aller Erfahrungen beruht, das Amber Arcades hier thematisiert, sondern auch darauf, dass wir es verstehen, uns bei unseren Erinnerungen selbst zu belügen. „Auf gewisse Weise macht es Sinn, die Vergangenheit zu verklären. Es ist wahrscheinlich eine Möglichkeit, um daran zu glauben, dass unsere Lebenszeit wertvoll war, das nicht alles nutzlos und schlimm war. Wir müssen in der Lage sein, eine Geschichte darüber zu erzählen. Wenn wir vor eine Herausforderung gestellt werden, möchten wir, dass das etwas auslöst, dass wir daran wachsen. Einfach zu glauben, dass uns wieder die nächste dumme Scheiße passiert ist, ohne dass es etwas gebracht hat, das ist schwierig”, hat Annelotte de Graaf erkannt.
In Baby, Eternity, dem Abschluss des in Los Angeles aufgenommenen Albums, wird jeder Vers ein Beweis ihres Talents und Könnens, die Musik dazu ist erst extrem reduziert, am Ende dafür umso aufgewühlter. Oh My Love (What Have We Done) lautet die Frage im gleichnamigen Lied, und die Antwort darauf ist schlicht: Wir haben uns geliebt und stehen jetzt vor der Aufgabe, das zu verstetigen. “We’ll be just fine / if only for tonight”, heißt es an einer Stelle, “Happy ever after is really all I’m looking for”, ein paar Zeilen später. Es ist diese Diskrepanz zwischen kleinen Momenten des Glücks und der Sorge, dass wir doch nie ganz zufrieden sein werden, weil mir von Narrativen umgeben sind, die stets noch mehr verheißen. Auch darin erkennt European Heartbreak eine Parallele: Dieses Streben nach großen und ehrenwerten Zielen gilt für das eigene Leben ebenso wie für die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt.
Simple Song führt das vor, denn es stellt aus Anlass der Ankunft als Touristin in einem anderen Land die Frage nach Fremdheit, Verlorensein und Identität. „Wenn ich in den Niederlanden bin, spielt es für mich eigentlich keine große Rolle, dass ich Niederländerin oder Europäerin bin. Ich glaube, dass solche Politiker, die vor allem von einer gemeinsamen niederländischen Kultur predigen, im besten Falle faul und im schlimmsten Fall gefährlich sind“, erzählt de Graaf. „Wenn ich allerdings in den USA bin, wird dieses Niederländische auf einmal ein riesiger Teil meiner Identität. Auch das zeigt wahrscheinlich: Welche Vorstellung ich auch immer über Liebe, Politik, Moral und alles andere habe – all das ist so sehr in Bewegung und so relativ, dass es mir schwer fällt, meinen eigenen Einstellungen wirklich zu vertrauen. Was natürlich kacke ist. Weil ich Bedeutung in diesem Leben finden will, und das ist schwierig, wenn man nicht einmal seinen eigenen Erfahrungen über den Weg trauen kann.“
“It doesn’t matter where you go / some things will never last”, singt sie deshalb im besagten Simple Song, der European Heartbreak eröffnet, zum typisch mondänen Sound dieses Albums, der mit Bläsern und Streichern oft an Belle & Sebastian oder The Divine Comedy denken lässt. “We’ll wake up and realize / it’s always been this way”, heißt es später. Auch das ist eine der vielen schlauen Erkenntnisse aus diesem Album: Nostalgie und Verliebtsein haben viel gemeinsam und sind letztlich ewige Prinzipien, überall auf der Welt.