American Football – „LP3“

Künstler American Football

American Football LP3 Review Kritik
Mit ihrem dritten Album scheinen American Football bei sich selbst anzukommen.
Album LP3
Label Big Scary Monsters
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

Dass American Football keine ganz gewöhnliche Band sind, war schon 1999 bei Erscheinen ihres Debütalbums klar. Unmittelbar nach der Veröffentlichung löste sich das aus Illinois stammende Trio auf. Mit ihrer bis dahin selten gehörten Melange aus Emo und Post-Rock hatten sie allerdings bleibenden Eindruck hinterlassen. Wohl auch diese anhaltende Bewunderung führte dazu, dass sich Mike Kinsella, Steve Holmes und Steve Lamos 2014 wieder zusammentaten. Verstärkt um Nate Kinsella am Bass gab es 2016 mit LP2 das zweite Album von American Football.

Im Rückblick wird dieses Werk von der Band nicht verdammt, aber kritisch betrachtet. „Ich glaube, die zweite Platte war nur dazu da herauszufinden, wie wir die ganze Sache überhaupt angehen wollen“, sagt Nate Kinsella. Zum nun anstehenden Release von LP3 unterstreicht er den Unterschied zum Vorgänger: „Wir haben viel Zeit und Energie investiert. Wir haben uns noch mehr Gedanken darüber gemacht, was wir veröffentlichen wollten. Beim letzten Album waren wir noch zu sehr damit beschäftigt herauszufinden, wie wir all unsere verschiedenen Arme benutzen können. Dieses Mal war es mehr ein: Okay, wir haben all diese Möglichkeiten, nutzen wir sie doch einfach.“

Auch wenn das Quartett erneut mit Produzent Jason Cupp in den Arc Studios in Omaha, Nebraska aufgenommen hat, diagnostiziert auch Steve Holmes einen entscheidenden Unterschied zur LP2: „Irgendwann haben wir uns von einer Reunion-Band zu einer ganz normalen Band entwickelt.“ Daraus spricht nicht nur der Stolz auf die eigene Weiterentwicklung und die wiedergewonnene Kraft der Gemeinschaft. Die Zitate zeigen auch, ebenso wie der Entschluss zum Split vor 20 Jahren: American Football sind selten komplett zufrieden mit ihrem eigenen Werk. Das nagende Gefühl von „Ist das wirklich gut genug?“ und „Da wäre vielleicht noch mehr gegangen“ ist elementar für das Selbstverständnis dieser Band, denn es entspricht dem Unwohlsein, das auch auf LP3 der Ausgangspunkt der meisten Lieder ist.

„Forgiveness is a mystery“, attestieren sie in Life Support zu einem erstaunlich komplexen Rhythmus. „Sorry“ heißt das wichtigste Wort in Heir Apparant, das sich der Selbstsucht bezichtigt, am Ende begleitet von einem Kinderchor. Natürlich stecken dahinter die Selbsterkenntnis „Ich habe Defizite“ und der Vorsatz „Ich will besser werden.“ Dazu passt auch der Blick von Mike Kinsella auf sein eigenes Schaffen: „Ich habe das Gefühl, dass sich mein Songwriting über die Jahre sehr verändert hat. Das Ziel ist, sich unterhalten zu lassen, vielleicht etwas Wichtiges und Bedeutsames zu sagen, das aber auf eine sehr einfache Weise. Ich halte auf diesem Album bewusst vieles vage.“

Das Problem an LP3 ist, dass American Football, gerade weil sie so intensiv die eigene Unvollkommenheit reflektiert haben, offensichtlich in einigen Momenten tatsächlich einen Zustand der Zufriedenheit erreichen. Every Wave To Ever Rise klingt selbstgefällig, gekrönt von einigen Zeilen, die Gastsängerin Elizabeth Powell von Land Of Talk aus Quebec auf Französisch singt. Auch Mine To Miss wird langweilig statt innig, bietet Selbstmitleid statt Poesie – mit einer Zeile wie „My heart is an unmade bed“ muss man erst einmal durchkommen, was hier letztlich nicht gelingt.

In den anderen Songs ist der Hang zum Grüblerischen, Vorläufigen und Vorsichtigen aber natürlich genau das, was American Football ausmacht. Das Gitarrenpicking in I Can’t Feel You (mit Rachel Goswell von Slowdive) entwickelt eine fast hypnotische Wirkung, der Rhythmus eine subtile Kraft. Eine Trompete hat (nicht nur) in Doom In Full Bloom einen prominenten Platz und trägt zu einer schwebenden, verträumten Atmosphäre bei, die sehr passend ist für den hier über eine Spielzeit von fast acht Minuten besungenen Zustand von „I’m out of time.“

Das beste Lied auf LP3 ist Uncomfortably Numb, für das American Football Hayley Williams als Gast gewinnen konnten. Der Song hat die schönste Melodie dies Albums, vor allem aber eine feine Dramaturgie: Die Stimmen ergänzen sich wunderbar, die Paramore-Sängerin ist deutlich mehr als nur Deko oder ein prominenter Name, den man als Sticker auf die Plattenhülle packen kann. Am typischsten für den weiterentwickelten Sound des Quartetts ist der Album-Auftakt Silhouettes: Es erklingen Glocken, die zugleich einlullen und beunruhigen, und diese Diskrepanz bleibt auch in den folgenden gut sieben Minuten durch den schicken Gitarrensound und das federnde Schlagzeug erhalten. Mike Kinsella wundert sich über „All the muscle memory it must take / to stay close to me“ und fragt sich „what is the allure of inconsequential love?“ Auch da zeigt es sich wieder: Bei American Football geht es um den Zweifel – und die Stärke, die daraus entstehen kann, dass man ihn sich eingesteht.

Das Video zu Uncomfortably Numb hätte auch die Bezeichnung „Kurzfilm“ verdient.

Homepage von American Football.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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