Künstler | An Horse | |
Album | Modern Air | |
Label | Grand Hotel van Cleef | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Die Zutaten waren alle da, um An Horse den Todesstoß zu versetzen. Das australische Duo hatte jahrelang komplett unter Strom gestanden. 2010 erschien das Debüt Rearrange Beds, im Jahr darauf der Nachfolger Walls, zudem waren Kate Cooper und Damon Cox quasi permanent live unterwegs, beispielsweise als Support für Death For Cutie, Silversun Pickups, Tegan and Sara oder Nada Surf.
2012 war allerdings der Moment erreicht, in dem die Energie dieser Band aufgebraucht war. Es sollte eine Pause geben, und auch in diesem Zeitraum der Besinnung finden sich reichlich Indizien dafür, dass es nie mehr ein drittes Album von An Horse geben würde. Sie ging nach Montreal, er nach New York. Dazu kam ein Schicksalsschlag: Der Vater von Sängerin und Gitarristin Kate Cooper starb an einem Hirntumor.
Trotzdem hat Modern Air nun gestern das Licht der Welt erblickt. Auch in der Bandpause seit 2012 hatten die beiden regelmäßig Songideen ausgetauscht. Ganz zum Stillstand kam die Kreativität dieses Duos erst nach dem Tod ihres Vaters, wie Kate Cooper sagt: „Ich wollte keine Songs darüber schreiben, am Totenbett zu sitzen und traurig zu sein“, erzählt sie. „Traurigsein ist einfach, zumindest für mich. Schwierig ist es, glücklich zu sein. Dafür musst du arbeiten. Die Gitarre habe ich erst wieder in die Hand genommen, als ich über etwas anderes als Traurigkeit schreiben konnte.“
Blickt man vor diesem Hintergrund auf die Songtitel von Modern Air, kann man leicht erkennen, dass sich An Horse hier aus einem Tief befreien mussten. Get Out Somehow heißt eines der Stücke, dessen Abenteuerlust verdammt ansteckend wird. Drown ist unverkennbar ein Rocksong (und zwar ein sehr guter), integriert aber sehr viele höchst ungewöhnliche Elemente (und solch ein musikalischer Horizont ist wohl nicht ganz überraschend bei einem Duo, das sich bei der gemeinsamen Arbeit in einem Plattenladen zuhause in Brisbane kennengelernt hat). Der Album-Schlusspunkt Begin Again nimmt den Fuß vom Gas, bleibt aber spannend und leidenschaftlich.
Auch in anderen Momenten von Modern Air zeigt sich das Bestreben, der Musik von An Horse mehr Facetten zu verleihen. Fortitude Valet hat viel Energie, Started A Fire hingegen setzt auf eine etwas ruhigere Atmosphäre und führt zum Gedanken: So könnten Garbage klingen, nachdem man all ihr elektronisches Equipment beschlagnahmt hat. Bob Ross [Be The Water] hat zwar einen mächtigen Beat, der Rest bleibt allerdings zunächst dezent und rätselhaft, bevor sich aus diesem Mix eine eigentümliche Anziehungskraft entwickelt. Mind Reader wählt ein akustisches Instrumentarium inklusive Streichern, aber aus diesem vermeintlich hübschen Arrangement spricht eher Verwirrung als Beschaulichkeit. Der Aufforderung „Please, slow it down“ im an die Blood Red Shoes erinnernden Breakfast scheint das Lied selbst am wenigsten nachkommen zu wollen.
In Live Well kritisiert das Duo die Benachteiligung von LGBTQ-Menschen und den sehr schleppenden Prozess zur Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe in Australien. Die Musik dazu lässt mit reichlich Ungeduld, Feuer und Entschlossenheit an The Joy Formidable denken. Die Warnung „Verarsch mich bloß nicht!“, die den Kern des Songs bildet, ist auch zentral für das gesamte Album. Aus einer Sinnkrise (und einem kleinen Flirt mit Jangle) werden in Ship Of Fools erst Trotz und dann Kraft, aufbauend auf dem Glauben: „You and I got something.“
Dass This Is A Song ganz am Anfang von Modern Air steht, ist unverkennbar kein Zufall. Das Stück ist mit viel Eingängigkeit und einer ordentlichen Dosis Wut im Bauch ein perfekter Opener, man darf es wohl auch ein wenig als Initialzündung für die Tatsache sehen, dass An Horse wieder eine Platte veröffentlichen. „Der Song feiert das Gefühl, anders zu sein“, sagt Kate Cooper und erklärt dann auch, wie sie zu diesem Thema gekommen ist: „Ich habe mir die Fotos aus meiner High-School-Zeit angesehen und ich sehe darauf so krass anders aus als alle anderen, ich stach da total heraus. Damals war das schwierig für mich. Heute denke ich: Die sehen alle so schrecklich normal aus! Ich bin froh, nicht so wie die anderen auf diesen Bildern zu sein.“