Für einen Nachruf ist es zu früh. Fidel Castro ist schon mehrfach für tot erklärt worden, nach kubanischen Angaben sind mehr als 600 Attentate und Verschwörungen am Máximo Líder abgeprallt. Der dienstälteste Regierungschef der Welt war schon an der Macht, als die Berliner Mauer noch nicht gebaut war. Der beinahe 80-Jährige hat die Kubakrise überstanden, die Invasion in der Schweinebucht und den Zusammenbruch des Kommunismus.
Dass er nach mehr als 47 Jahren nun erstmals die Fäden aus der Hand gibt, zeigt den Ernst der Lage. Dass in der gestrigen Fernsehansprache gleich sechsmal betont wurde, dies geschehe nur vorübergehend, sorgt hinsichtlich seines Gesundheitszustands ebenfalls nicht gerade für Zuversicht. Kuba, das seit Jahren in einem Schwebezustand gefangen ist, bangt nun noch intensiver.
Was die Insel erwartet, wenn Fidel Castro die Amtsgeschäfte nicht wieder übernehmen kann, vermag niemand zu sagen. Selbst der designierte Nachfolger ist ein beinahe unbeschriebenes Blatt. Raúl Castro – im Gegensatz zu seinem älteren Bruder eher schüchtern als imposant, eher verlässlich als impulsiv, eher still als cholerisch – dürfte ein Element der Konstanz sein. Der ewige Vize hat das Militär und den Beamtenapparat unter Kontrolle, gilt marktwirtschaftlichen Prinzipien gegenüber als aufgeschlossen. Zudem kann er auf eines zählen: Die von Fidel Castro immer wieder geschürte Feindschaft gegen die USA schweißt die Kubaner zusammen.
Dennoch könnte Castros Krankheit der Anfang vom Ende für das Regime sein. Denn auch wenn Raúl Castro vielleicht der geeignetere Diplomat und der bessere Ökonom ist, fehlt ihm doch etwas ganz entscheidendes: Fidel umgibt noch immer ein verblüffendes Charisma. Er ist eine Koryphäe, die höchste moralische Instanz der Insel. Der Comandante en Jefe pflegte seinen eigenen Mythos intensiv und erfolgreich, er gilt bei vielen Kubanern eben nicht als Despot, sondern noch immer als der Befreier von Batista.
Im revolutionären Dreiergespann galt Fidel damals als das Herz, Che Guevara als das Hirn und Raúl als die Faust. Doch mit eiserner Hand wird sich das gespaltene Land – in den Städten und bei jungen Leuten haben viele längst genug vom Sozialismus – nicht mehr regieren lassen. Der unbeliebte Raúl Castro könnte für freiheitliche Kräfte eine Figur sein, die nicht unantastbar ist – anders als Fidel.