Künstler*in | Angel Olsen | |
EP | Aisles | |
Label | Jagjaguwar | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Von der Verzweiflung zur Leichtigkeit – so kann man vielleicht den Weg beschreiben, den Angel Olsen mit Aisles gegangen ist. Das klingt nach Karthasis, die sich in tiefgründigen, zumindest autobiografischen Texten niederschlägt. Doch stattdessen findet man auf der EP fünf Coverversionen von Klassikern aus den Achtzigern. Trotzdem wiesen diese Lieder der Songwriterin einen Ausweg aus einer Krise und einen neuen Weg beim Blick auf die eigene Arbeit.
Der Ausgangspunkt war der Sommer 2020, für Angel Olsen „eine harte Zeit, aus vielerlei Gründen“, wie sie sagt. Eine wichtige Stütze in dieser Phase war der befreundete Produzent Adam McDaniel. Immer wieder schaute sie bei ihm und seiner Frau Emily in Asheville in North Carolina vorbei. „Ihr Haus fühlte sich wie ein sicherer Ort an, an dem ich kreativ sein und mich fallen lassen konnte.“ Dort entstand auch die Idee, mit Coverversionen zu arbeiten. „Ich wollte 80er-Jahre-Songs aufnehmen, die ich beim Gang durch den Supermarkt zufällig gehört hatte, und ich wollte lachen und Spaß haben und den Aufnahmeprozess im Allgemeinen etwas weniger ernst nehmen. Meine Idee ging in die Richtung, einige der Songs komplett zu verändern und sie auf den Kopf zu stellen“, sagt Angel Olsen.
Das ist auf Aisles fürwahr gelungen, gleich das erste Stück der EP unterstreicht das. Gloria ist im Original von Laura Branigan ein schillernder Disco-Hit. In der hier zu hörenden Interpretation wird der Song geradezu gruselig, durch das stark verlangsamte Tempo ebenso wie durch den großzügigen Einsatz von Hall und das ziemlich irre Cello-Solo am Ende. Plötzlich erscheint die Zeile „I think you’re headed for a breakdown“ in einem ganz anderen Licht, und das hat auch mit der ersten Erinnerung von Angel Olsen an dieses Lied zu tun: „Ich hörte es zum ersten Mal bei einer Weihnachtsfeier unserer Familie. Ich war erstaunt, als plötzlich all die Tanten aufstanden, um zu tanzen. Ich stellte mir vor, wie sie alle in Zeitlupe tanzten und lachten, und da kam mir die Idee, das ganze Lied zu verlangsamen und es auf diese Weise auszuprobieren.“
Eine ähnlich radikale Veränderung erfährt der Safety Dance, im Original von Men Without Hats. Diesmal war die Neuinterpretation von den Erfahrung mit der Corona-Pandemie inspiriert. „Ich hatte das Gefühl, dass man den Song so umdeuten könnte, dass er von dieser Zeit der Quarantäne handelt und von der Angst, die man nun womöglich empfindet, wenn man mit jemandem zusammen ist oder zu viel Spaß hat. Ich habe mich gefragt: Ist es sicher, zu lachen? Zu tanzen? Oder nur für einen Moment frei von allem zu sein?“ Entsprechend klingt es nun wie eine Herausforderung, die einen womöglich töten könnte, wenn die erste Zeile „You can dance if you want to“ erklingt. Das liegt auch daran, dass der Bass eine morbide, klaustrophobische Atmosphäre erzeugt, wobei im Refrain dann doch eine kleine Chance auf Freude und Leichtigkeit erkennbar wird. So klingt vielleicht die Musik in einer Disco voller Zombies oder Roboter, die nur noch einen allerletzten Rest an Energie haben – und keine Lust, diese wertvolle Ressource für Arbeit zu verschwenden.
„Die meisten dieser Coverversionen haben wir im Winter letzten Jahres aufgenommen. Ich kam rüber und sah, dass Adam etwa fünf Synthesizer aufgebaut hatte, und wir verloren uns eine Weile in einem Part, während wir mit irgendeinem obskuren Pedal herumspielten, von dessen Funktionsweise ich nichts wusste. Wir haben viel Zeit damit verbracht, Sounds durchzugehen, bevor wir einen oder zwei gefunden haben, und manchmal wurden wir richtig komisch und draufgängerisch“, erzählt Angel Olsen über den Entstehungsprozess. Diese Detailversessenheit kann man gut in den letzten beiden Stücken von Aisles erkennen, die etwas näher am Original bleiben, aber auf subtile Weise dennoch einen eigenen Charakter bekommen. If You Leave verpasst sie ein bisschen Shoegaze und Goth, sodass der Song plötzlich eher nach Shakespeare’s Sister oder Phillip Boa klingt als nach O.M.D., von denen er tatsächlich stammt. Forever Young (ursprünglich von Alphaville) lässt ihren Gesang am deutlichsten glänzen und überrascht mit schwermütigen Streichern.
Billy Idols Eyes Without A Face haben Olsen und McDaniel für den Soundtrack eines Films aufgenommen, der im weiteren Verlauf des Jahres erscheinen soll. Obwohl der Gesang verzerrt ist, hat ihre Interpretation nichts von der Aggressivität der Vorlage, die Perspektive wirkt stattdessen eher verloren und verletzlich. Auch hier zeigt die Künstlerin, dass sie perfekt verstanden hat, was eine gute Coverversion ausmacht: Sie sollte mutig und eigenständig sein, aber nicht den Geist und den Kern des Originals zerstören. „Ich weiß, dass ich nicht gerade dafür bekannt bin, etwas unabsichtlich oder einfach nur so zu tun“, sagt Angel Olsen abschließend. „Aber meine Verbindung zu diesen Songs ist ziemlich einfach: Ich wollte einfach ein bisschen Spaß haben und ein bisschen spontaner sein, und ich denke, ich musste mich daran erinnern, dass ich das kann!“