Künstler | Animal Collective | |
Album | Crestone | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Ob ein Soundtrack gut gelungen ist, beantwortet man wohl üblicherweise anhand von vier Fragen. 1) Passt die Musik zum Film? 2) Bietet der Soundtrack mehr als nur längst bekannte, nun aneinander gereihte Stücke? 3) Wird er den Künstlern auf diesem Soundtrack gerecht? Und schließlich 4) Funktioniert er im Zweifel auch ohne den Film?
Im Falle des morgen in Deutschland erscheinenden Crestone lauten die Antworten: weiß nicht, ja, ja, ja. Brian “Geologist” Weitz und Josh “Deakin” Dibb vom Animal Collective haben hier die Musik für den ersten Spielfilm der Regisseurin Marnie Ellen Hertzler aus Baltimore gemacht, die Deakin bereits seit 2015 kennt: „Als sie mich darauf angesprochen hat, die Musik für Crestone zu machen, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich fragte Brian, ob er mitwirken möchte, weil wir zuvor schon ein paar Sachen als Duo umgesetzt hatten“, sagt er. „Ich wollte schon lange an Filmmusik arbeiten, und dieses Projekt war ideal geeignet, um den damit verbundenen Prozess zu erkunden.“
Crestone ist benannt nach einem Wüstenstädtchen in Colorado, in der die Handlung rund um eine Gruppe von Rappern auch spielt. „In der ersten Phase habe ich mir einfach eine Szene des Films herausgesucht und auf dem Klavier dazu improvisiert. Es ging um die Energie, die ich spürte und dann interpretiert habe. In vielen Fällen blieben diese frühen Ideen dann auch bis zur endgültigen Aufnahme erhalten. Es fühlte sich befreiend und inspirierend an, die Bilder und Figuren, das Schneiden und die tatsächlichen Geräusche aus dem Film als Ausgangspunkt zu nehmen“, erzählt Weitz.
Man hört diese Ursprünge in Stücken wie Sad Boy Sleeping, Benz’s Dream oder Cotton Candy Sky (Dead God Theme) noch heraus. Sehr schnell entführt Crestone aber in eine ganz eigene Klangwelt, in der es manchmal scheint, als würden gerade die ersten Musikinstrumente der Menschheitsgeschichte erfunden. Vieles aus dem Klangrepertoire, das die beiden Animal-Collective-Mitglieder hier einsetzen, könnte man sich auch in einem altertümlichen Science-Fiction-Film vorstellen, etwa Woke Up Ryan oder Sloppy’s Dream.
Ein sehr beliebtes Stilmittel sind Geräusche, die man tatsächlich fast zwangsläufig mit der Wüste assoziiert, und danach mussten die Musiker keineswegs lange suchen. „Ich habe in den frühen 2000er Jahren in der Sonora-Wüste gelebt, das hatte einen sehr nachdrücklichen Effekt auf mich, vor allem, weil ich vorher viele Jahre in New York City gewohnt hatte. Seit diesen Tagen hatte ich eine vage Idee für einen Sound in meinem Kopf, der diese Erfahrung reflektieren könnte. Bisher gab es aber kein Projekt, das dafür geeignet gewesen wäre – bis zu Crestone. Die Bilder, Klänge, Geschichten und Strukturen, die darin erschaffen und festgehalten werden, passten perfekt“, sagt Josh “Deakin” Dibb.
So hört man in Boxing & Breathing etwas, das Wind sein könnte, oder auch Regen, wobei Ersteres in der Wüste sicher wahrscheinlicher ist. Zapata Falls, das mit mehr als viereinhalb Minuten mit Abstand längste Stück des Soundtracks, wird fast so etwas wie ein Hörspiel. Oh California fährt ein kleines Orchester auf, wird nicht mal 100 Sekunden lang, entwickelt aber am meisten Präsenz von allen Stücken. Nur zweimal gibt es Stimmen zu hören, im besänftigenden Scavengers und dem nach Beschwörung klingenden Over The Sangre De Christo, mutmaßlich sind es Dialoge aus dem Film (den ich nicht kenne, deshalb auch das „Weiß nicht“ als Antwort auf die erste der eingangs erwähnten vier relevanten Fragen).
Für Freunde von Animal Collective dürfte Crestone indes auch problemlos ohne Bilder funktionieren, denn man findet hier vieles, was das Oeuvre dieser Band auch sonst auszeichnet, nämlich langsam schwebende Flächen, verträumt hingehauchte Sounds und Klangbilder, die ihren Reiz durch die Unschärfe gewinnen.