Künstler | Animal Collective | |
Album | Tangerine Reef | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Man kann wirklich sauer werden beim Hören von Tangerine Reef. Das übermorgen erscheinende elfte Studioalbum von Animal Collective klingt genau wie die Sorte von Musik, die von Bloggern groß gemacht wurde: halbwegs ausgefallen, mit viel Attitüde und einiger Lust auf Experimente, aber mit extrem geringem Unterhaltungsfaktor.
Hair Cutter eröffnet die Platte und erweist sich als Blubbern, Flüstern und Rauschen, in späteren Tracks findet der Hintergrund etwas mehr Form, ohne dass man das Ergebnis unbedingt schon einen Song nennen würde. Manchmal scheinen sich Gesang und Musik anzunähern, bleiben aber von einer echten Symbiose ein gutes Stück entfernt. Vieles ist anstrengend und enthält mehr Hall, Effekte und Fragezeichen als Elemente, an denen man sich erfreuen oder mit denen man sich identifizieren könnte. Einige der instrumentalen Stücke wirken, als seien sie gar nicht als Musik gemeint, sondern als hätte jemand bloß vergessen, die Geräte abzuschalten. Spätestens bei Coral Understanding mag man kaum mehr länger warten, bis sich diese Platte dem Hörer zuwendet oder zumindest öffnet.
Diese Vorwürfe sind dem Trio aus Baltimore aber nur zum Teil anzulasten. Denn der größte Teil dieses Problems ist das Format. Tangerine Reef wird auch als Audiostream, CD und als Doppel-LP auf Vinyl veröffentlicht, eigentlich ist es allerdings als audiovisuelles Album konzipiert. Und ohne die Bilder zur Tonspur (die etwa über die Website myanimalhome.net verfügbar sind) macht die Musik deutlich weniger Spaß und Sinn. Auch die Faszination, die davon ausgeht, hält sich in Grenzen.
Für das Werk haben Animal Collective mit Coral Morphologic zusammengearbeitet, einem Duo bestehend aus dem Meeresbiologen Colin Foord und dem Musiker J.D. McKay, dessen Arbeiten etwa schon vom National Geographic Channel und der BBC genutzt wurden. Mit Tangerine Reef wollen sie mehr Aufmerksamkeit für die bedrohte Unterwasserwelt schaffen und nehmen zum Anlass, dass 2018 zum „Internationalen Jahr des Riffs“ (gemeint sind nicht Gitarrentöne, sondern Korallen) ernannt wurde. Neben der Arbeit an Tangerine Reed waren Animal Collective und Coral Morphologic passenderweise auch gemeinsam auf Tauchgängen.
Die Wahl das Themas wirkt exotisch, ist aber bei Deakin (Josh Dibb), Avey Tare (Dave Portner) und Geologist (Brian Weitz) nicht wirklich verwunderlich. Animal Collective haben schließlich schon im vergangenen Jahr die EP Meeting Of The Waters veröffentlicht. Auch Korallen stehen schon länger im Mittelpunkt ihres Interesses. Avey Tare hat ein Lied namens Coral Lords auf seinem letzten Soloalbum Eucalyptus platziert. Geologist hatte schon 2011 Musik zum Kurzfilm Man O War von Coral Morphologic beigesteuert, in dem ebenfalls die drohende Zerstörung der Unterwasserwelt thematisiert wurde. Er hat zudem einen Master-Abschluss in Umweltpolitik, im Rahmen seines Studiums forschte er unter anderem zur Versauerung der Weltmeere.
Auch mit dem Format des visuellen Albums haben Animal Collective bereits mit Oddsac Erfahrung gesammelt. Tangerine Reef funktioniert, ähnlich wie diese Platte aus dem Jahr 2010, in seinen besten Momenten dann doch auch halbwegs als reiner Tonträger. Bei Jake And Me entsteht zum ersten Mal so etwas wie eine stimmige, reizvolle Atmosphäre, auch Lundsten Coral entwickelt einen gewissen Appeal, Palythoa sogar einen Hauch von Spannung. Ganz am Ende findet sich das Glanzstück: Best Of Times (Worst Of All) funktioniert als Klanggemälde und einige Elemente darin klingen tatsächlich wie das quirlige und vielfältige Leben in einem Korallenriff.