Anita Lane – „Sex O’Clock“

Künstler*in Anita Lane

Anita Lane Sex O'Clock Review Kritik
„Sex O’Clock“ war 2001 kein großer Erfolg für Anita Lane.
Album Sex O’Clock (20th Anniversary Edition)
Label Mute
Erscheinungsjahr 2021
Bewertung

Im April dieses Jahres ist Anita Lane im Alter von 61 Jahren gestorben. Ich habe keinen einzigen Nachruf auf sie gefunden, in dem nicht die Worte „Nick Cave“ vorkamen, oft sehr früh und/oder sehr oft im jeweiligen Text. Das ist zunächst auch kein Wunder: Die beiden waren über lange Zeit ein Paar, Anita Lane war zudem Mitbegründerin sowohl von The Birthday Party als auch von Nick Cave & The Bad Seeds. Obwohl sie einige der bekanntesten Songs dieser Bands mitschrieb, blieb ihre spätere Sololaufbahn weit hinter dem Erfolg ihres Ex zurück.

Im Jahr 1988 veröffentlichte sie ihre erste eigene EP Dirty Sings, das 1993 folgende Debütalbum Dirty Pearl war mehr oder weniger eine Sammlung von Musik, die sie seit den 1980er Jahren mit verschiedenen Mitstreiter*innen gemacht hatte, darunter etliche Künstler*innen, die sie 1982 nach dem Umzug aus Melbourne in Berlin getroffen hatte, etwa die Einstürzenden Neubauten, Chrislo Haas, Gudrun Gut und Die Haut. Zu ihren bekanntesten Werken gehören eine Coverversion von These Boots Are Made for Walking mit Barry Adamson aus dem Jahr 1991 sowie ihre Gesangsbeiträge auf den Alben Intoxicated Man (1995) und Pink Elephants (1997), die Mick Harvey als Tribut an Serge Gainsbourg initiiert hat. Harvey war auch ihr wichtigster Partner beim zweiten Studioalbum Sex O’Clock, das nun zum 20. Jubiläum neu aufgelegt wird und auch erstmals auf Vinyl erscheint. Bei der ursprünglichen Veröffentlichung 2001 war die Platte ein ziemlicher Flop, Anita Lane zog sich danach wieder nach Australien und weitgehend auch aus dem Musikgeschäft zurück.

Diese so häufigen Assoziationen als „Frau an der Seite von…“ (Cave, Adamson, Harvey…) sind also einerseits angesichts dieser Diskografie nachvollziehbar, andererseits erstaunlich. Denn die Musik von Anita Lane zeichnet ein explizit feministischer Ansatz aus, insbesondere hinsichtlich der Freiheit, gerne und explizit über weibliche Lust zu singen, so wie es sich Männer in Rock und Pop schon seit mehr als 60 Jahren herausnehmen. Allein dieses Credo hätte es verdient gehabt, sie auch jenseits ihrer Kollaborationen zu würdigen. „Ich habe Lust, ich bin geil, ich will Befriedigung, nach meinen Bedingungen und jetzt sofort“ – diese Aussagen prägen die Platte noch mehr als sie auf ihren früheren Werken bereits präsent waren.

Die deutlichsten Beispiele sind Do The Kamasutra und das ähnlich gelagerte Do That Thing mit dem Wunsch nach „some tantric action“ und der Aufforderung „Put a little sugar in my cup / take your spoon and stir it up.“ Auch The Petrol Wife ist eine Geschichte von (fast) blinder Leidenschaft, zum Auftakt des Albums gibt es Home Is Where The Hatred Is, das im Original von Gil Scott-Heron ist. Die Version von Anita Lane setzt auf spektakuläre Streicher, noch mehr wird der Song aber von der unruhigen und unheilvollen Orgel geprägt. Die Sängerin zeigt sich als wild entschlossene Ausreißerin, bei der man sich allerdings zweimal überlegen sollte, ob man sich mit ihr einlässt.

In The Next Man That I See wird zu einem unrunden, holpernden Piano die Frage gestellt: Was unterscheidet die Fantasie von einem Traummann, der die Rettung und das (durchaus auch sexuelle) Glück bringen soll, von religiösen Vorstellungen eines Erlösers? Wenn Gott angeblich in allen Dingen ist, kann ich dann nicht auch Liebe machen mit dem nächstbesten Mann? Die Musikjournalistin Eleanor Philpot hat diese Themen auf The Quietus in eine Reihe von Künstlerinnen gestellt, die in ihren Liedern die weibliche Sexualität auch ohne Scheu vor Aggressivität thematisieren. „Wie bei Alanis Morissette, Madonna und Fiona Apple war ihre Musik ein Mittelfinger gegen das Patriarchat, aber im Gegensatz zu ihnen weigerte sich Lane, dabei ihre stereotypen weiblichen Eigenschaften zu verleugnen, und erforschte stattdessen, wie ihre Fähigkeit, Sex und Liebe aus weiblicher Sicht zu erleben, zu reicheren Erfahrungen führte“, schreibt sie treffend.

Sex O’Clock zeigt aber auch, dass dieser Ansatz zu Effekten führen kann, die wenig zum gängigen modernen Feminismus-Selbstverständnis passen. Anita Lane zeigt hier, dass sie weiß, was sie will. Aber dieses „was“ ist eben fast immer: ein Mann. Sie gibt sich selbstbewusst, liberal, manchmal fast nymphoman. Aber sie definiert ihr Glück immer über Beziehungen zu Männern. Ohne diese fühlt sie sich, legt man die Songtexte zugrunde, verletzlich, defensiv, fast wertlos.

Erschreckend klar wird das in I Love You, I Am No More. Schon der Titel zeigt das völlige Aufgehen in der Liebesbeziehung, die hier besungen wird. Haben die Kinder schon gegessen? Ist ein Krieg ausgebrochen? Existiere ich überhaupt noch? Auf all diese Fragen hat sie hier keine Antwort, weil sie voll und ganz (und durchaus ungesund) auf ihren Lover fixiert ist. Der entschlossene Bass scheint dabei auf ihre Wurzeln im Post-Punk zu verweisen, während es auch hier wieder hoch elegante Streicher gibt. Auch Like Caesar Needs A Brutus verweist auf das Sujet einer emotionalen und/oder erotischen Symbiose, die bis zur gegenseitigen Abhängigkeit reicht. In A Light Possession schwingt dieser Aspekt ebenfalls mit, verpackt in ein so lupenreines Easy-Listening-Gewand, dass man jederzeit erwartet, Serge Gainsbourg werde gleich ein „Mon amour“ hauchen – stattdessen gibt es dann aber ein (auch nicht schlechtes) Trompetensolo.

Die Gitarre in I Hate Myself macht Anleihen bei House Of The Rising Sun, die unruhigen Geigen zeigen den aufwühlenden Konflikt mit sich selbst, die repetitive Bass-Figur verkörpert wohl die erdrückende Monotonie des Nicht-aus-sich-selbst-ausbrechen-Könnens, aber insgesamt ist diese sehr fundamentale Selbstanklage nicht allzu glaubwürdig, weil im Arrangement alles viel zu schick und oberflächlich bleibt. Der beste Song auf Sex O’Clock ist die Coverversion von Bella Ciao, die das Album abschließt. Anita Lane gelingt eine sehr originelle Uminterpretation des Partisanenlieds, sie nimmt viel Tempo raus und deutet durch die verführerische Stimme und nicht zuletzt den Kontext dieses Albums an, dass der Krieg hier einer der Geschlechter sein könnte und das Schlachtfeld sich womöglich im Schlafzimmer befindet.

Das Video zu Home Is Where The Hatred Is.

Nachruf auf Anita Lane aus dem Tagesspiegel.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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