Künstler | Arctic Monkeys | |
Album | Tranquility Base Hotel & Casino | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
James Cook hätte die Arctic Monkeys retten können. Es gab diesen Tag irgendwann in der Mitte des vergangenen Jahres, als er nach Los Angeles kam und erstmals die neuen Songideen hörte, die Sänger Alex Turner dort in den letzten Monaten entwickelt hatte – und zwar größtenteils auf dem Klavier statt wie bisher mit der Gitarre. „Das hat mich schon ein wenig umgehauen. Ich hatte ihn nie zuvor richtig Klavier spielen gesehen“, erinnert sich Cook an diesen Moment. „Wenn man bedenkt, dass man uns als Gitarrenband betrachtet, war das schon ein gewagter Schritt. Aber da keiner von uns einen zweiten Aufguss von AM machen wollte, war ich hellauf begeistert von dem, was er entwickelt hatte.“
Mit seiner Zustimmung waren die Weichen für einen tatsächlich recht radikalen Wandel gestellt. Die Band wendet sich auf dem heute erscheinenden Tranquility Base Hotel & Casino ab vom rasanten Rock der Anfangstage, ebenso von den schweren Riffs der folgenden Phase. Was man stattdessen zu hören bekommt, schon in den ersten Sekunden, weckt ganz andere Assoziationen: Der Auftakt Star Treatment klingt nach Lounge und Hotelbar, sogar nach Aufzug, bis Alex Turner eine seiner prototypischen Zeilen singt: „I just wanted to be one of The Strokes / now look at the mess you made me make.“ Sobald er den Mund aufmacht, klingt der Song eben doch nach Arctic Monkeys und zeigt damit, wie sehr seine Stimme diese Band prägt, wie sehr es auch dieser Gesang ist, der in einen zugleich schwülen und coolen Sound die nötige Leidenschaft hineinbringt. Die Gitarre ist dabei – und das gilt für das gesamte Album – bloß noch Garnitur, nicht mehr Motor.
Diese Veränderung sieht auch Alex Turner als zentrales Element für den Sound an, der das sechste Album der Band nun dominiert. Vor zwei Jahren bekam er zum 30. Geburtstag ein Steinway Vertegrand Piano geschenkt. „Ich kam aus dem Urlaub zurück und da stand es. Ich liebe dieses gute Stück einfach. Ich kann hingehen, mich daran setzen und den ganzen Tag daran verbringen. Dass nun ein Klavier in diesem Zimmer steht, hat die Entstehung des Albums definitiv stark beeinflusst, denn es stand plötzlich im Mittelpunkt des Geschehens“, sagt er. Die folgenden Songs bestätigen ihn sogleich: One Point Perspective beginnt fast mit denselben Klavierakkorden wie Something Beautiful von Robbie Williams und wird dann zu einer Seventies-Funk-Ballade. Die prägenden Elemente in American Sports sind Klavier, Synthies und Besenschlagzeug.
Natürlich ist das nicht die erste Neuerfindung in der Karriere der Arctic Monkeys. Man erinnere sich an den Aufschrei in der Fangemeinde, als sie – unter dem Einfluss von Produzent Josh Homme – plötzlich versucht haben, harte amerikanische Biker zu sein statt blasse Jungs aus Sheffield. Trotzdem bringt Tranquility Base Hotel & Casino gleich mehrere Probleme mit sich, die zur Frage führen, ob diese Platte (oder die weitere Karriere der Band) besser geworden wäre, wenn James Cook an jenem Tag in L.A. gesagt hätte: „Ist ja ganz nett, dein Geklimper, aber das passt nicht zu uns. Und es rockt nicht.“
Dieses „rockt nicht“ ist Problem #1. Anders als bei allen vorherigen Platten der Band gilt für Tranquility Base Hotel & Casino: Mitsingen ist schwer, tanzen ist noch schwerer und zu dieser Musik auszuflippen, ist unmöglich. Man muss sich unwillkürlich fragen, das bildet Problem #2, wie das live funktionieren soll, womöglich gar im Festival-Kontext und vor allem im Zusammenspiel mit dem älteren Material. Dazu trägt auch bei, das ist Problem #3, dass dies viel mehr wie ein Soloalbum von Alex Turner klingt (den größten Teil des Materials nahm er allein in seinem Heimstudio in L.A. auf, bevor die Band für zusätzliche Aufnahmen mit Produzent James Ford in der Nähe von Paris zusammenkam) als wie ein Album der Arctic Monkeys.
Womit wir bei #4 und dem zentralen Manko dieser Platte sind: Die neue Richtung hin zu Klavier statt Gitarre, Eleganz statt Tempo, Poolbar statt Garage, ist zweifelsohne interessant. Aber diese Musik macht Alex Turner schon gemeinsam mit Miles Kane bei den Last Shadow Puppets. Gäbe es dieses Nebenprojekt nicht, wäre Tranquility Base Hotel & Casino ein deutlich stärkeres Album. Warum er einen sehr ähnlichen Sound nun auch von den Arctic Monkey braucht (und wir den brauchen sollten), leuchtet schwer ein. Beinahe könnte man glauben, im schon erwähnten Star Treatment sei in der Zeile „Miles away from any half-useful imaginary highway” mit „Miles“ keine Entfernungsangabe gemeint, sondern eben Miles Kane.
Freilich findet die Band mit diesem Ansatz auch einige Lösungen oder zumindest Auswege für Herausforderungen, die sich mit ihrem sechsten Album unweigerlich stellten. Da wäre zum einen die Aufgabe gewesen, zeitgemäße Rockmusik zu machen. Viele Bands mit ähnlicher Prominenz und ähnlichem Talent haben zuletzt vor dieser Aufgabe kapituliert und sich in andere Genres geflüchtet, sodass sich mehr denn je die Frage stellt: Ist zeitgemäße Rockmusik vielleicht gar nicht mehr denkbar, nicht einmal von den Arctic Monkeys? Zweifelsohne hatten sie mit dem 2013 veröffentlichten AM, das Platinstatus in den USA und in zwölf Ländern die Spitze der Charts erreichte und insgesamt 5 Millionen Mal verkauft wurde, sowohl künstlerisch als auch kommerziell das Ende eines Kapitels in ihrer Karriere erreicht. Ein „Weiter so“ wäre schwierig geworden.
Spätestens durch diesen Erfolg wäre auch die Perspektive von „Ich bin einer von euch und singe aus dem normalen Leben“ für Alex Turner ausgeschlossen gewesen, die Fans der ersten Stunde so sehr an den Arctic Monkeys schätzen. Natürlich sind diese Wurzeln nicht verschwunden, aber Hollywood-Jet-Set gehört mittlerweile eben auch zu seiner Biographie. In Star Treatment findet er ein schönes Bild für diesen Zwiespalt: Er hat einen Reisekoffer mit seinem eigenen Monogramm, aber er reist per Anhalter.
Nicht zuletzt finden die Arctic Monkeys hier ein recht stimmiges Gesamtkonzept, sowohl klanglich als auch inhaltlich. Die Leitmotive sind Technologie und der Blick auf Mensch-Maschine-Interaktionen, sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Über “the exotic sound of data storage” singt Turner in The World’s First Ever Monster Truck Front Flip. So klingt das Lied tatsächlich – zumindest, wenn man noch von der Speicherung auf Magnetbändern oder sogar Lochstreifen ausgeht. Four Out Of Five spielt auf den Mond, und zwar auf dem Dach eines Hotels. Es wird der stärkste Moment des Albums durch einen sehr guten Groove, eine klasse Melodie und viel Augenmerk auf Atmosphäre wie man das aus dem Solowerk von Noel Gallagher kennt.
Der Titelsong Tranquility Base Hotel & Casino hätte vor allem mit diesem Bass sehr gut aufs erste Album von Air (wohlgemerkt: Moon Safari!) gepasst, auch wenn die wohl nie eine Zeile gesungen hätten wie „Technological advances really bloody get me in the mood.“ She Looks Fun beginnt heavy wie The Hives in ihrem spacigen Spinner-Modus und packt dann reichlich George-Harrison-Gitarren dazu. In Batphone werden der cineastische Charakter, den viele Songs haben, und das Soundtrack-Feeling dieses Albums am deutlichsten. Gleich mehrfach kann man an das Gemeinschaftswerk von Elvis Costello und Burt Bacharach denken, am deutlichsten in The Ultracheese, das die Platte als Klavierballade im Walzertakt abschließt.
Science Fiction bringt im Songtitel nicht nur die wichtigste Thematik der Platte auf den Punkt („Früher war alles besser, sogar die Zukunft“, scheint dabei die Perspektive der Arctic Monkeys zu sein), sondern zeigt auch, was Alex Turner meint, wenn er über das Album sagt: „Es hat viel mehr Akkorde und es ist einfach durchgeknallt!“ Leider verliert sich das Stück in seiner Vorliebe für altertümliche Sounds und bleibt als Komposition unausgegoren. Golden Trunks, in dem unter anderem ein US-Präsident einen Auftritt als Wrestler hat, ist einer der wenigen Tracks, der etwas enthält, das man ein Riff nennen könnte – aber wieder wird das gepolstert in abgedämpften Bass, sanfte Klavierakkorde und noch mehr Falsettstimme als sonst ohnehin schon. In diesem Lied erkennt man ausnahmsweise eine DNA, aus der Josh Homme wohl einen Hardrocksong gemacht hätte.
Natürlich fragt man sich zwangsläufig: Wäre das besser gewesen? Die Antwort heißt: nein. Sie heißt aber auch: Das Ziel, etwas ganz anderes zu machen, ist den Arctic Monkeys auf Tranquility Base Hotel & Casino wichtiger als das Ziel, das Maximum aus ihrem Talent herauszuholen, notfalls auch auf einem Terrain, das sie bereits kennen. Aber sie hatten uns ja schon von Anfang an gewarnt, wie wichtig ihnen Unberechenbarkeit ist, die hier manchmal auch zur Selbstverliebtheit wird: Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not.