Künstler | Ariel Pink | |
Album | Archive Cycle 2 | |
Label | Mexican Summer | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Bei 46 Stücken und mehr als 200 Minuten Spielzeit, die sich auf dem Archive Cycle 2 finden, kann es schon einmal unübersichtlich werden. Fangen wir also sicherheitshalber damit an, die Fakten zu sortieren.
Hinter Ariel Pink steckt Ariel Marcus Rosenberg aus Los Angeles, Jahrgang 1978. Als Ariel Pink’s Haunted Graffiti hat er zu Beginn seiner Karriere reichlich Material veröffentlicht, oft auf Kassetten. Nachdem er unter anderem im Umfeld von Animal Collective einige Aufmerksamkeit erzielt hatte und als treibende Kraft des Chillwave gefeiert wurde, veröffentlichte er ab 2004 einige dieser Alben neu, das Material darauf entstammte durchweg der Entstehungszeit von 1996 bis 2003, in der er unter anderem am CalArts studiert hat. Seit 2014 erscheinen seine Werke nur noch unter dem Namen Ariel Pink. Weil das Frühwerk nicht nur umfangreich, sondern auch unübersichtlich ist, wird es nun in den Archive Cycles neu zugänglich gemacht, und zwar in klanglich aufgebessertem Format.
Cycle 1 erschien am 25. Oktober 2019 und enthält die ursprünglichen Alben Underground (erstmals veröffentlicht 1999), Odditties Sodomies Vol. 2 (2019) und Lover Boy (2002). Der hier vorliegende Cycle 2 enthält Reissues der Alben The Doldrums (2000), Worn Copy (2003) und House Arrest (2002). Am 29. Januar 2021 werden Cycle 3 und Cycle 4 erscheinen und die Archiv-Bestandsaufnahme abschließen. Cycle 3 wird dann Odditties Sodomies Vol. 1 (2008) und Sit n‘ Spin (bisher unveröffentlichte Songs aus den späten Nullerjahren) umfassen, auf Cycle 4 sind die Tracks aus Odditties Sodomies Vol. 3 (bisher unveröffentlicht) und Scared Famous (2001) enthalten.
Bedenkt man, dass dazu noch etliche EPs, inoffizielle Veröffentlichungen und Gastauftritte etwa auf Platten von MGMT, Miley Cyrus oder Daft Punk kommen, kann man Ariel Pink wohl problemlos eine überbordende Kreativität attestieren. Archive Cycle 2 zeigt aber, dass das ein Trugschluss wäre. Wir haben es hier lediglich mit einer überbordenden Produktivität zu tun. Ariel Pink ist nicht – auch seine weiteren Veröffentlichungen zeigen das – in ein Fass mit Pop-Zaubertrank gefallen, sodass nun Meisterwerke en masse aus ihm heraussprudeln. Stattdessen scheint er schlicht keine Qualitätskontrolle zu kennen. Dass nicht aus jedem Einfall gleich ein (guter) Song werden muss, scheint ihm als Gedanke völlig fremd zu sein. Das führt dazu, dass der Cycle 2 allenfalls etwas für eingefleischte Fans ist.
Zugleich ist diese Eigenschaft auch der Schlüssel zum Verständnis des Appeals dieser Musik. Denn die oft genug willkürlich wirkende Kombination von Sounds gilt hier nicht nur im Album- oder Compilation-Format, sondern auch innerhalb der einzelnen Songs. Viele Stücke klingen wie Collagen oder so, als hätte jemand einen zufällig programmierten Sendersuchlauf im Mittelwellen-Radio eingestellt, mit einer heimlichen Vorliebe für Harmoniegesang und das klassische Songwriting der Sechziger (und noch früher).
Man kann in dieser Methode natürlich eine künstlerische Leistung erkennen, ebenso wie in der Lo-Fi-Ästhetik, die auch durch das Remastering erhalten bleibt. Sehr viele der Songs auf Cycle 2 klingen, als seien sie ursprünglich aufwendig komponiert und aufgenommen worden, um dann genauso aufwendig kaputt gemacht zu werden. Man kann hier Chaos und Wahnsinn finden (Bloody Bagonias, Strange Fires, Creepshow, Hardcore Pops Are Fun, The People I’m Not) ebenso wie eine verquere Eingängigkeit (Every Night I Die At Miyagis, Alisa).
Good Kids Make Bad Grown-Ups ist ein gutes Beispiel für die Unterwasser-Klangästhetik bei Ariel Pink, zugleich kann man irgendwo darin auch eine besonders mondäne Inkarnation von David Bowie ausmachen. Let’s Build A Campfire There klingt wie ein verschämter Ausflug ins Territorium von Alex Cameron, Credit wie ein versehentlich vergessener ELO-Song (und das ist als Kompliment gemeint), Among Dreams wie eine Soul-Karikatur von Helge Schneider (und das ist nicht als Kompliment gemeint).
Oft erweist sich der Bass als enorm freigeistig und prägend wie in For Kate I Wait oder Until The Night Dies, gelegentlich rückt der Gesang weiter in den Vordergrund wie in Immune To Emotion, das eine Heiterkeit vorgaukelt, die bei diesem Klanggewand (und diesem Songtitel) natürlich zynisch wirken muss. Glaubt man Ariel Pink, dann ist das Life in L.A. sehr entspannt, „so lonely“ und voller seltsamer Blasinstrumente. Einige Passagen in Trepanated Earth wirken eher wie ein Hörspiel, anderes wie Seventies-Hardrock. The Ballad Of Bobby Pyn hätte als Fundgrube für die Beastie Boys einiges hergegeben, ist aber auch nicht so übervoll mit Ideen, dass es die Spieldauer von mehr als 11 Minuten rechtfertigt. Somewhere In Europe / Hotpink! beginnt heavy mit rückwärts laufender Stimme, wird dann etwas, das den Kinks zur Ehre gereicht hätte, und mündet schließlich in Ende Space-Rock.
Wer nicht 200 Minuten lang Zeit hat, um sich einen ersten Eindruck von Ariel Pink zu machen, kann sich an den vergleichsweise zugänglichen und fokussierten Jules Lost His Jewels oder The Drummer orientieren. Auch The Doldrums (das gleichnamige Album war seine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule, die er dann aber doch ohne akademischen Titel verließ) zeigt sein Potenzial: Der Song feiert die Apathie, wie es auf der anderen Seite des Kontinents auch The Velvet Underground getan haben.
„Die Melodien stammen aus der alten Brian-Wilson-Schule, die Gitarren wären ohne J Mascis nicht zu denken, die Frisur kommt von Kurt Cobain“, hat Plattentest sehr zutreffend über diese Zusammenstellung geschrieben. Das Problem (und zugleich der Reiz) bei Ariel Pink sind weiterhin: Er nähert sich diesen Vorbildern nicht systematisch, um deren Ästhetik weiterzuentwickeln, sondern würfelt sie stattdessen in einem ADHS-Skipping-Modus wild zusammen.