Künstler | Art Brut | |
Album | Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out! | |
Label | Alcopop Records | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
„It’s not a game over / I got an extra life / I was born again / in a pure white light“, singt Eddie Argos in Hooray. Er ist jetzt kein wiedergeborener Christ geworden und will sich auf dem ersten Album von Art Brut seit sieben Jahren auch nicht als Phoenix aus der Asche inszenieren. Aber eine sehr ernste Geschichte liegt diesen Zeilen dennoch zugrunde: „Ich bin nach Berlin gezogen. Ich wäre fast an Bauchfellentzündung gestorben. Ich war eine ganze Weile im Krankenhaus. Ich bin Vater geworden, ich war in einer Beziehung, wir trennten uns. Ich schrieb einen Comic, meine Memoiren, ein Musical und hatte eine One-Man-Show“, fasst der Sänger seine letzten Lebensjahre zusammen, und insbesondere der Teil mit „wäre fast gestorben“ ist auf Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out! sehr präsent.
So steckt im besagten Auftaktsong Hooray nicht nur sofort Schwung und Kraft, sondern von der ersten Sekunde an Euphorie. Später wird auch die Dankbarkeit erkennbar, die in diesem Entschluss steckt, das Leben unbedingt gut zu finden, inklusive all seiner Tücken und der eigenen Fehler. In Hospital wird die Zeit der lebensbedrohlichen Krankheit noch einmal sehr explizit thematisiert. Zu dem Schwur, ins Krankenhaus niemals zurückzukehren, gehört auch der Vorsatz zu einem gesunden Lebenswandel, den er sich wohl selbst nicht glaubt. Das ist die vielleicht schönste Erkenntnis am fünften Album von Art Brut: Eddie Argos ist ein anderer und doch derselbe.
Noch immer liebt man diese Stimme, die nach unglücklichen Leidenschaften klingt, nach Lesen von Musikzeitschriften ganz hinten im Bus, nach immer als Letzter gewählt werden, wenn die Jungs sich die besten Spieler für ihre Fußballmannschaft heraussuchen. Zum Vertrauten gehören auch umwerfende Zweizeiler wie „I’m too clever / for my own damn good“ (Too Clever) oder die Boshaftigkeit eines gekränkten und allenfalls halberwachsenen Egos, wie sie in I Hope You’re Very Happy Together steckt, denn die nächste Zeile heißt „and if you’re not that’s even better“.
Das heute erscheinende Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out! begann als Breakup-Album und wurde dann zu einem Verliebtheitsalbum, erzählt Eddie Argos, und auch diese Verwandlung hört man der Platte gut an. She Kissed Me (And It Felt Like A Hit) besingt den Rausch des Verliebtseins, die Metapher dazu ist natürlich Musik, dazu gehören etwa Schlagzeugrhythmen und (wie schon im Text von Bad Weekend auf dem 2005 erschienenen Debüt oder zuletzt im Titel ihrer Best-Of-Sammlung) Auftritte bei Top Of The Pops. Das Awkward Breakfast findet nach einem One-Night-Stand statt, das abschließende Your Enemies Are My Enemies Too propagiert absolute Loyalität und ultimativen Zusammenhalt. Die Verse „Now we’re a team / we’re gonna be unbeatable“ sind wohl auf eine Liebesbeziehung bezogen, passen natürlich aber auch als Motto für die neue Inkarnation von Art Brut.
Denn nach dem Ausstieg von Jasper Future und Mikey Breyer gehören jetzt Toby McFarlane (Gitarre) und Charlie Layton (Schlagzeug) zur Besetzung. „Ich kenne Charlie seit einer Ewigkeit. Er ist auch Schlagzeuger von The Wedding Present und ich wollte schon als Kind immer mit ihm in einer Band spielen. Wir kennen uns nun schon etwa 25 Jahre“, sagt Eddie Argos. Auch die Qualifikation des zweiten neuen Bandmitglieds hebt er hervor: „Toby spielt normalerweise Bass in der Band von Graham Coxon und ist nun ein Teil von Art Brut, weil ich ihn liebe. Ian hat ihn gefunden und ich habe mir seinen Twitter-Feed angesehen, um herauszufinden, wie er so drauf ist. Er hat dort A Day In The Life Of Vivian Stanshall von der Bonzo Dog Doo-Dah Band gepostet. Und ich dachte mir: Ja, das passt perfekt, er ist dabei.“
Aus den Zitaten spricht die unerschöpfliche Liebe zu dieser Popkultursache, die eine der größten Stärken von Art Brut ist, insbesondere aber auch die Liebe zu dieser Band selbst. „Ich kann mir nicht vorstellen, Art Brut jemals zu verlassen“, sagt Eddie Argos, auch für den diesmal sehr großen Abstand zum Vorgänger Brilliant! Tragic! hat er eine plausible Begründung: „Ich möchte nicht in der Art von Band sein, die Songs schreibt wie: Ich mag es nicht, auf Tour zu gehen, Touren sind wirklich langweilig. Ich denke, wir brauchten einfach eine Pause, damit Dinge passieren konnten, über die ich singen kann.“
Dass sich viele dieser Dinge mittlerweile nicht mehr in London, sondern in der deutschen Hauptstadt abspielen, ist offensichtlich auf der Platte. In Good Morning Berlin singt Eddie Argos, teils auf Deutsch, über das Beobachten von Hipstern und über den Verdacht, dass er mit ihnen vielleicht die Erfahrung teilt, diese Stadt vor allem nachts oder verkatert zu erleben. Schwarzfahrer macht einen Song aus einer Begegnung mit einem BVG-Kontrolleur. Für das in absichtlich widerborstige Musik gepackte Kultfigur wählt er bewusst die deutsche Schreibweise, wohl auch, weil der hier von ihm zitierte Vorwurf, er sei ein „singer who doesn’t really sing“, besonders gerne hierzulande geäußert wird.
In diesem Song steckt auch die Einsicht, es über den Status als Lieblingsband einer kleinen Gemeinde von Eingeschworenen wohl nicht mehr hinaus zu schaffen. Wie verwunderlich das ist, zeigt der Titelsong: Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out! propagiert Party, egal wo, wann und mit wem – und man kann sich niemanden vorstellen, der bei klarem Verstand ist und dieses Lied nicht lieben wird. Veronica Falls hingegen deutet fast so etwas wie Einverständnis mit dem Status als Nicht-Mega-Rockstars an. Ausnahmsweise gibt es keinen Alarm, sondern fast Entspanntheit und eine Heranwachsenden-Romantik, die nicht wenig an die gleichnamige Band erinnert.
„Auf Wham! Bang! Pow! Let’s Rock Out! besinnen sich Art Brut wieder ein wenig zurück auf die Grundlagen“, sagt Eddie Argos. „Es ist die Art von Album, die ich eigentlich nach unserem Debüt schreiben wollte, was damals nicht ganz gelungen ist. Ich glaube, ich bin jetzt selbstbewusster und ich weiß ganz genau, was ich will. Ich finde unsere alten Platten nicht schlecht, aber das neue Album ist genau die poppige Punk-Platte, die ich immer machen wollte.“ Man kann ihm nur zustimmen: Ein besseres fünftes Album als dieses hätte man sich von Art Brut nicht erträumen können.