Asbjørn, Täubchenthal, Leipzig

Asbjørn Konzert Kritik Rezension Täubchenthal
Ganz auf Performance aus ist Asbjørn bei seiner Show in Leipzig. Foto: Sinnbus/Ezgi Polat

„99,9 Prozent der Bands gehen auf die Bühne, weil sie im Musikbusiness sein wollen, weil sie in Top Of The Pops auftreten wollen, weil sie Rockstars sein wollen. Nur sehr wenige gehen auf die Bühne, weil sie einfach keine andere Wahl haben. Was sie antreibt, sind Dinge, die danach verlangen, ausgedrückt zu werden.“

Das hat Tony Wilson, der Gründer von Factory Records, einmal über die Bands gesagt, die es ihm wirklich angetan haben. Wäre er nicht 2007 gestorben, sondern heute Abend in Leipzig gewesen, hätte er einen Künstler erleben können, der bestens in sein Anforderungsprofil passt: Asbjørn.

Der 23-Jährige, der in einem kleinen Ort bei Aarhus in Dänemark aufgewachsen ist und mittlerweile in Berlin lebt, legt innerhalb von genau einer Stunde im Täubchenthal einen Auftritt hin, der keinen Zweifel daran lässt, wie sehr er es liebt, ein Performer zu sein. Zwar hat er einen Abschluss der Königlichen Musikakademie in Aarhus und spielt auf seinen bisherigen beiden Alben Sunken Ships (2014) und Pseudo Visions (2015) fast alle Instrumente selbst. Doch auf der Bühne im Täubchenthal ist er voll und ganz das „dänische Popkind mit einem unaufhaltsamen Drang zu tanzen“, wie eine von Asbjørns Selbstbeschreibungen lautet. Die Instrumente überlässt er (bis auf ein paar Keyboard-Akkorde zu Beginn und kurze Ausflüge an die Percussions danach) seinem Schlagzeuger und seinem Knöpfchendreher. Er selbst will Spaß haben.

Das ist durchaus ansteckend, vom Auftakt Body Of Work bis zum Schlusspunkt The Criminal. Die Fans in Leipzig bekommen sogar zwei neue Songs zu hören. Einer davon (Baby Okay) ist allenfalls mittel, der andere wird heute Abend erst zum zweiten Mal überhaupt live gespielt, entstand in einer Berliner Karaokebar und kommt deutlich besser an.

Asbjørn Leipzig Konzert
Plastikshirt und Mittelscheitel – jetzt bloß nicht „Nick Carter“ sagen!

Spätestens als nach einer Viertelstunde She Is A Hurricane erklingt, wirkt es seltsam, dass nicht längst der ganze Saal in Leipzig tanzt. Das liegt zum einen an der Musik, die immer wieder feine Beats mit wunderbarem Gesang paart und insgesamt deutlich macht, was „The Weeknd mit Wumms“ oder „Justin Timberlake mit europäischer Club-Prägung“ für überzeugende Ideen sind. Es liegt zum anderen aber auch an Asbjørns eigenem Bewegungsdrang, der mitunter beängstigende Ausmaße annimmt.

Dass so viel Körperlichkeit im Kontext eines kleinen Clubkonzerts an einem Mittwochabend, bei dem der Saal gut zur Hälfte gefüllt ist, befremdlich wirken kann, liegt wohl an einer der Eigenheiten von Asbjørn: Im Pop konnte er sich schon immer eher mit den weiblichen Vorbildern identifizieren. „Dieser aggressive männliche Archetyp, um den nackte Frauen herumtanzen, sprach mich nie an. Stattdessen fühlte ich mich dem Kampf weiblicher Künstlerinnen um Emanzipation verbunden“, hat er einmal gesagt. Der Abend in Leipzig unterstreicht das: Wäre das eine Frau, die sich da auf der Bühne so hemmungslos von ihrer Musik mitreißen lässt, würde man sich kein bisschen wundern. Für einen Mann, der dasselbe – ohne große Bühnenshow, ohne Arena-Atmosphäre – macht, fehlen schlichtweg die Referenzpunkte, und gerade das macht dieses Konzert manchmal irritierend, aber auch erinnerungswürdig.

„Ich möchte den Jungs und Mädchen helfen, die sich wie ich nur schwer mit der Mainstreamvorstellung, wie Männer und Frauen sein sollen, identifizieren können“, lautet das Credo von Asbjørn. Wie das gemeint ist, zeigen nicht nur seine Songtexte, sondern immer wieder auch seine Show. Der Albumtitel Pseudo Visions meint „jene intensiven Momente, in denen die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen“, sagt Asbjørn, und es ist offenkundig, dass er an diesem Abend in Leipzig einige davon erlebt.

Er ist so sehr auf Performance aus, dass man sich nicht mal wundern würde, wenn es einen Kostümwechsel gäbe. Asbjørn bleibt aber durchweg in einem silbernen Plastikshirt, das ebenso gewagt ist wie sein blonder Mittelscheitel. Wer alt genug ist, muss bei dieser Frisur zwangsläufig an Nick Carter (Backstreet Boys) denken. Aber es gibt zum Glück noch eine andere optische Parallele, die diesen Haarschnitt dann zumindest erträglich macht und zudem musikalisch, geografisch und nicht zuletzt hinsichtlich Asbjørns flexiblem Umgang mit Geschlechterrollen auch viel besser passt. Asbjørn ist nicht die coolere Variante von Nick Carter. Er ist eine männliche Variante von Robyn.

Die nächsten Konzerte von Asbjørn:

6.5. 2016 Düsseldorf – FTT

7.5. 2016 Wiesbaden – Schlachthof

4.6. 2016 Berlin – Torstraßenfestival

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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