Künstler | Audio88 & Yassin | |
Album | Todesliste | |
Label | Normale Musik | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Fließbandjob heißt das drittletzte Stück auf dieser Platte. Der Titel erscheint einerseits angemessen, weil Audio88 & Yassin seit dem Start ihrer Zusammenarbeit im Jahr 2009 bereits das sechste Album vorlegen. Er zeigt andererseits, wie originell die Themen und Perspektiven sind, die das Berliner Duo auf Todesliste immer wieder findet. Der Track handelt davon, wie frustrierend es sein kann, wenn die eigene Musik zwar gefeiert wird, aber letztlich so wenig Veränderung bewirkt.
Das spielt ziemlich offenkundig auf den Vorgänger Halleluja (2016) an, auf dem Audio88 & Yassin sich erstaunlich konstruktiv gezeigt hatten, für Harmonie, Solidarität und Empathie eintraten. Natürlich haben sie aber feststellen müssen: Praktisch niemand ist dieser Empfehlung gefolgt, es gibt seitdem weder eine Lösung für die drängenden globalen Probleme noch einen Aufwärtstrend im gesellschaftlichen Miteinander. Wie sehr das an ihnen nagt und wie sehr es sie beunruhigt, hatte schon das Soloalbum Ypsilon von Yassin vor zwei Jahren gezeigt.
Die Reaktion darauf macht bereits der Start mit Schlechtes Gewissen unmissverständlich klar. Auch die Zeile „Halleluja, wir sind hier, um euch zu retten“ verweist auf das Vorgänger-Album. Der Track ist ein typisches „Hier sind wir wieder, und wir bringen es noch“-Statement, wie man das im Rap kennt, eine geeignete Referenz (auch im Sound) ist beispielsweise Ahnma von den Beginnern. Der Opener zeigt als aggressives Statement auch, wie erbarmungs- und schonungslos die beiden Berliner hier immer wieder mit perverser Freude den Finger in die Wunden unseres Lands und unsere Welt legen. Todesliste ist tatsächlich nicht nur eine Kampfansage, sondern eine Drohung.
Das folgende Plus 1 erläutert den Albumtitel: Aus einer Gästeliste wird hier eine Todesliste, darauf finden sich Nazis, Wegducker und alte weiße Männer, die in den Medien zündeln. Lauf zeigt das Szenario, das beim weiteren Versagen und Wegschauen der Behörden gegen Rassisten, Neonazis und angebliche Einzeltäter drohen kann, das Bild dafür ist die Zeile: „Die Kugel ist schon aus dem Lauf.“ Die Abkürzung WUP steht für „weiß und privilegiert“, der Track könnte von Böhmermann sein, sowohl in seiner unmissverständlichen Aussage als auch im Sound, auch wenn nach dem „Ich bin, ich bin, ich bin“ hier eben kein „Polizei“ folgt, sondern „weiß und privilegiert“. Klingelton ist der härteste Moment dieser ohnehin brutal harten Platte. So viel Gangsta-Attitüde funktioniert nur, wenn sie glaubhaft ist, und hier wird sie mit jeder Zeile furchteinflößender, nicht weit weg von Helden wie NWA oder Public Enemy.
Natürlich kann man auf Todesliste weiterhin Parallelen zu Acts wie K.I.Z. (für die Audio88 & Yassin einst im Vorprogramm gespielt haben), Kool Savas, Casper, Marsimoto (mit denen sie schon zusammengearbeitet haben) oder auch Samy Deluxe finden (der zu den Schützlingen von Produzent Philipp Schwär gehört, der auch hier am Werk war). Auch die Beats von Bazzazian, Farhot, Torky Tork, Suff Daddy, Dienst&Schulter, Brasco, Ghanaian Stallion, BenDMA und den Drunken Masters sind zwar klasse, abwechslungsreich und manchmal nahe an den absoluten Meilensteinen des Genres (Todi hat trotz seiner Vorliebe für einen gepflegten Diss einen Sound à la Fugees, das famose Kein Regen feiert die eigene Überlegenheit ähnlich rüde und wirkungsvoll wie Jay-Zs 99 Problems), aber letztlich kein Alleinstellungsmerkmal.
Dieses liegt bei Audio88 & Yassin vielmehr in den Themen: Vater Mutter Kind blickt auf soziale Ungleichheit und macht deutlich, wie illusorisch das Versprechen von Chancengleichheit und Aufstieg für viele Menschen ist („Deine Eltern spielen Vater, Mutter, Kind / und verlieren haushoch / immer wieder, saudoof“), Freunde erinnert an die wichtige Unterscheidung zwischen „Menschen, mit denen ich viel Zeit verbringe und viel Kontakt habe“ und „Menschen, die mir am Herzen liegen und auf die ich mich verlassen kann“, Cottbus sollten die Einwohner der Stadt (oder gar die Verantwortlichen fürs Stadtmarketing) lieber nicht hören: „Wollte nie nach Berlin, wollte nur weg von dir“, rappt Audio88 darin, und zwar, weil er dort nur Frust und Ignoranz erlebt hat.
Der Schluss der Todeliste enthält nicht nur die schon erwähnte Reflexion der eigenen Grenzen in Fließbandjob, sondern auch noch ein Highlight sowie den einzigen Schwachpunkt des Albums. Für das großartige Garten hat das Duo als Verstärkung Nura an Bord geholt. Das Feature ist wichtig für den Spannungsbogen der Platte: Es gibt hier einen kurzen, wenn auch nicht ungetrübten Moment der Ausgelassenheit, der an Hurra die Welt geht unter denken lässt, und es tut gut, in diesem Track einmal andere Stimmen zu hören, auch wenn sie eine bereits bekannte Botschaft vortragen: eine Todesdrohung an die Feinde. Ganz am Schluss steht Ende in Sicht, das ebenfalls ein cleveres Thema wählt (nämlich die Verlogenheit von Nachhaltigkeit, die man über Konsum erreichen will, und von Achtsamkeit, die man bei Instagram inszenieren muss), aber auch deshalb nicht gut funktioniert, weil Audio88 & Yassin hier ausnahmsweise auf die Meta-Ebene wechseln, nicht mehr die eigene Wut thematisieren, sondern das große Ganze. Dass die Menschheit eine Plage für den Planeten ist, dass wir zu dumm und egoistisch sind, unsere eigenen Lebensgrundlagen zu bewahren, dass wir lieber Sündenböcke suchen als Veränderungen zu wagen – all das ist in den Tracks zuvor viel besser und subtiler klar geworden.