BC Camplight – „Deportation Blues“

Künstler BC Camplight

BC Camplight Deportation Blues Review Kritik
Nach seiner Rückkehr nach England hat BC Camplight „Deportation Blues“ aufgenommen.
Album Deportation Blues
Label Bella Union
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, muss man beim Blick auf den Albumtitel denken. Deportation? Ein erzwungener Ortswechsel, der auch noch einen Blues auslöst? Hatte BC Camplight in Manchester nicht gerade erst seine Heimat gefunden?

Um die Antwort zu verstehen, muss man einen kurzen Blick auf das erwachsene Leben des Mannes werfen, der eigentlich Brian Christinzio heißt, in New Jersey geboren wurde und dann lange in Philadelphia lebte. Dort feierte er erste Erfolge als Musiker, nahm als Pianist mit Sharon Van Etten auf, war zeitweise Teil der Liveband von The War On Drugs und legte zwei sehr positiv aufgenommene Alben als BC Camplight vor. Dort entwicklte er allerdings auch diverse psychische Probleme und eine ausgewachsene Suchterkrankung. Als er die Gewissheit hatte, bald “tot oder im Gefängnis” zu sein, wenn er in Phildalphia bliebe, folgte er der Empfehlung eines Freundes und zog nach Manchester.

In England wurde zunächst alles gut. Nach acht Jahren brachte er mit How To Die In The North 2015 erstmals wieder eine Platte heraus. Er fand Freunde, eine Freundin, so etwas wie Zufriedenheit. Dann begann das, was er heute als “verfickten Alptraum” bezeichnet: Seine Aufenthaltsgenehmigung wurde nicht verlängert und er musste umgehend das Land verlassen. “Ich hatte viele Hoffnungen an How To Die In The North geknüpft. Zwei Tage, nachdem die Platte erschien, wurde ich dann abgeschoben und durfte nicht mehr zurück nach UK. Ich landete also im Keller meines Elternhauses, spielte Pac Man und dachte: So wird jetzt mein Leben aussehen.”

Ab und zu konnte er mit seinen alten Mitstreitern aus Manchester musizieren, man traf sich in Dublin, Paris oder zu gelegentlichen Konzerten auf dem Kontinent, aber der bisherige Lebensmittelpunkt war verloren. Es fühlte sich an, “als lebe man in einer permanenten Panikattacke”, sagt BC Camplight über diese Phase. Die Lösung brachte dann ein Blick auf seine europäischen Vorfahren. Nach einem anderthalbjährigen Kampf mit Behörden hat er mittlerweile die italienische Staatsbürgerschaft und durfte damit wieder nach Manchester. „Obwohl ich Amerikaner bin, fühle ich mich wie ein Mancunian. Ich war mir sicher, dass ich keine neue Platte machen könnte, bevor ich dorthin zurückkehren durfte“, erklärt er die enge Verbindung an seine Wahlheimat.

Man ahnt schon, was dann folgte: Brexit. Kaum, dass er wieder in Manchester war, entschieden die Briten, dass sie gerne unter sich bleiben wollen. „Ich dachte nur: Das darf doch nicht wahr sein“, erinnert sich BC Camplight. Dass er nun erneut nicht weiß, ob und wie lange er dort bleiben darf, wo er sich um wohlsten fühlt, prägt die Stimmung von Deportation Blues – auch wenn die tatsächlichen Aufnahmen nicht in der Zeit des Exils stattfanden, sondern nach seiner Rückkehr in den Whitewood Studios in Liverpool.

Dass BC Camplight dort größtenteils auf Tageslicht verzichtete, passt zur Stimmung, die der Brexit in ihm auslöste. „Ich fühlte mich nach meiner Rückkehr kein bisschen besser. Ich hatte so viel Wut in mir, ich fühlte mich zerstört. Meine Dämonen waren zurückgekehrt, ich hatte Freunde verloren, ich trank zu viel und fühlte nichts als Frust und Krankheit. Ich war sehr gespannt darauf, wie sich das auf das Album auswirken würde. (…) Die Gedanken und Klänge, die dann aus mir herausflossen, waren ziemlich beängstigend. Ich bin ziemlich sicher, dass der Toningenieur spätestens nach dem zweiten Tag lieber ein Klappmesser eingepackt hat, für alle Fälle. Es kam überhaupt nichts raus, das verspielt klang oder weinerlich wie vielleicht beim letzten Album. Der Gedanke daran, irgendwelche Elemente in dieser Art auf der neuen Platte zu haben, löste bei mir Brechreiz aus. Ein paar Monate später hatten wir Deportation Blues fertig und krabbelten aus dem Studio wie Höhlenmenschen.“

Diese etwas erschreckende Atmosphäre wird schon im Titelsong als Auftakt des Albums deutlich. „Man merkt sofort, dass es eine andere, dunklere Platte ist als How To Die In The North”, merkt Brian Christinzio treffend an. Es gibt in Deportation Blues träge Drums, eine akustische Gitarre, seltsame Elektronik und einen verrückten Refrain. Ähnlich ist der Eindruck von I’m Desperate, das der Künstler als “einen ominösen Synthie-Kracher” bezeichnet. Die zentrale Melodie klingt, als sei das Keyboard verstimmt, der Rhythmus hat viel Drive, wirkt aber ebenfalls verstört, als hätten Franz Ferdinand ausnahmsweise Musik gemacht, wenn sie mal wirklich mies drauf sind. „Meine Stimmung war frostig. Jedes Mal, wenn ich etwas hörte, das hübsch klang, ersetzte ich es also mit etwas, das wie ein Eispickel klang. Diese Stimmung von nuklearer Apokalypse erschien mir am besten angemessen“, erklärt der Künstler die im Vergleich zum Vorgänger deutlich synthetischeren Sounds.

Das Meiste auf Deportation Blues hat BC Camplight selbst eingespielt, Unterstützung kam von Schlagzeuger Adam Dawson, Robbie Rush an der Gitarre und einigen angeheuerten Musikern an den Blasinstrumenten. Diese auch formal sehr weitgehende Interpretation von Autorschaft passt gut zum Inhalt. „Es ist ein komplexes und zugleich offensichtliches Album, schätze ich. Auch wenn das vielleicht ein bisschen dramatisch klingt: Diese Platte wurde von einem Typ gemacht, der nicht sicher sein konnte, ob er am nächsten Tag noch am Leben ist“, sagt BC Camplight. „Es geht nicht darum, cool zu klingen oder ins Radio zu kommen. Alles, was ich darauf gepackt habe, ist nur aus dem Grund enthalten, dass es die Wahrheit ist.“

In I’m In A Weird Place Now besingt er unter anderem seine Liebe zu Manchester, die er in erster Linie damit begründet, dass dort durch das schlechte Wetter die meisten Menschen so mies drauf sind, wie er selbst es ohnehin ist. Hell Or Pennsylvania wird abwechselnd geheimnisvoll jazzig sowie energisch und straight, wobei Letzteres klare Referenzen zu Jerry Lee Lewis zeigt, einem der ersten Künstler, für die er sich begeistern konnte. „Jerry Lee war dieser Typ, der einfach auf ein Klavier eindrosch und sich um nichts scherte, und ich schere mich auch um nichts“, erklärt er die Geistesverwandtschaft, die er damals beim Stöbern im Plattenregal seiner Mutter entdeckte. „Die großen Refrain-Teile feiern die Wirkung von Kokain, die Jazz-Teile sind das Jammern beim unvermeidlich schmerzlichen Kater danach.”

Dieser Abwechslungsreichtum ist auch in Am I Dead Yet unverkennbar. Handgezählt hat der Song zwölf Teile, von Kinomusik-theatralisch über Synthie-spinnert und Kuhglocken-funky bis Beach-Boys-himmlisch, denen man mit klassischen Bezeichnungen wie Strophe, Bridge und Refrain kaum gerecht werden kann, und die gegen Ende in immer kürzeren Abständen aufeinander folgen und zudem in sich variiert werden. „Meine Stimmung hat Hochs und Tiefs und es fällt mir schwer, von etwas dauerhaft fasziniert zu sein“, erklärt BC Camplight diesen Überfluss. „Ein Teil von einem Song kann in 15 Sekunden seinen Zweck erfüllen, und muss dann auch gar nicht unbedingt wiederholt werden. Der Trick ist es, all die verschiedenen Teile so zu verweben, dass es nicht wie Chaos klingt.“

Das gelingt ihm auch in Fire In England meisterhaft, das man als einen vergifteten Gruß an Theresa May begreifen darf, die im UK zunächst als Home Secretary für die Einwanderungspolitik und dann als Premierministerin für den anstehenden Brexit verantwortlich war. BC Camplight ist verständlicherweise nicht gut auf sie zu sprechen. „She looks a little bit rusty / dresses like a bus seat, doesn’t she?”, ist fast noch das Freundlichste, was er über sie zu sagen hat. Seine Prognose, die er in ein paar Beatles-Anleihen packt : „One day, she’s gonna wake up / and say ‘Oh, my God, fire in England!‘“

When I Think Of My Dog zeigt hingegen, wie seine Lieder entstehen: Es gibt hier zu Beginn nur Gesang und Klavier, auch danach bleibt dieser Song (bis auf ein bisschen Gejaule zur Halbzeit) reduziert und klar in seiner Konzentration auf ein Gefühl: Wehmut. Midnight Ease vereint seinen außergewöhnlich sprudelnden Geist mit der Sehnsucht nach Ruhe, Schönheit und Harmonie. Am Ende der Platte steht das gespenstische und verzweifelte Until You Kiss Me. Vor dem Hintergrund der Abschiebung bekommt die Zeile „I’m not leaving / until you kiss me“ natürlich eine viel tiefergehende Bedeutung und zeigt den kleinen Hoffnungsschimmer, der für BC Camplight vielleicht auch in der Erfahrung der vergangenen Jahre steckt: „Das ist keine Geschichte von ‚Ich habe das Licht gesehen und Erlösung gefunden.‘ Aber künstlerisch war ich noch nie so zufrieden wie jetzt.“

Im Video zu I’m Desperate wird Theresa May zum Alptraum.

Website von BC Camplight.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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