Künstler*in | Beach Fossils | |
Album | The Other Side Of Life: Piano Ballads | |
Label | Bayonet Records | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Cargo Records / Andrew Cigna |
Manchmal brauchen die Dinge eben etwas länger, um sich zu fügen. Als Michael Jordan in der zehnten Klasse war, schaffte er es nicht ins Basketball-Team seiner High School. Morgan Freeman war viele Jahre ein sehr guter (und sogar preisgekrönter) Theaterschauspieler, doch seine Hollywood-Karriere begann erst, als er schon 52 Jahre alt war mit Miss Daisy und ihr Chauffeur. Jada Pinkett sollte in Der Prinz von Bel-Air eigentlich die Freundin von Will Smith spielen, fiel dann aber im Casting durch – als die Serie dann längst schon eingestellt war, wurden die beiden im echten Leben ein Paar und sind seit 1997 verheiratet.
Für Dustin Payseur, den Kopf von Beach Fossils, hat die Corona-Pandemie so eine zweite Chance auf die Verwirklichung eines lang gehegten Traums eröffnet. Mit The Other Side of Life: Piano Ballads erfüllt er sich diesen nun, unterstützt von Tommy Gardner (Klavier, Saxofon, Kontrabass) und Henry Kwapis (Schlagzeug).
Insbesondere Gardner, der von 2011 bis 2016 auch ein festes Mitglied der Beach Fossils war, ist dabei eine zentrale Figur. Als Payseur ihn in New York kennenlernte und ihm ein paar Lieder der Debüt-EP seiner Band vorspielte, verwandelte Gardner, ein ausgebildeter Jazzmusiker, diese Stücke ohne weitere Vorkenntnisse in entspannte, abstrakte Interpretationen. Beim ursprünglichen Autor der Songs traf er damit einen Nerv. „Seit Jahren hatte ich die Idee, diese Klavierversionen von Beach-Fossils-Songs in ein Album zu verwandeln, und 2020, als die Tournee wegen Covid plötzlich ausfiel, wandte ich mich an Gardner und fragte ihn, ob er dieses Album endlich machen wolle“, erzählt Payseur heute.
Als Vorbilder für die Platte führt er Künstler wie Lester Young, Chet Baker, Bill Evans und Coleman Hawkins an, insbesondere deren Balladen. „Wenn ich ihre Musik höre, schmilzt der Rest der Welt dahin und ich versinke in einem glückseligen Dunst. Ich habe immer wieder versucht, das Gefühl, das ich beim Hören von Jazz empfinde, in meine Songs einfließen zu lassen“, erzählt er, und führt weiter aus: „Bei Beach Fossils gab es schon immer ein Jazzelement; Akkorde werden selten gespielt, stattdessen spielen die Instrumente typischerweise einzelne Noten, die sich zu Akkorden zusammenfügen. Ich glaube, das kommt zum großen Teil daher, dass ich Jazz-Trios und -Quartette höre, die Art und Weise, wie die Instrumente sich ineinander verflechten und sich gegenseitig Raum lassen, wie Instrumente für eine Weile nach vorne kommen, während andere warten. Jazz ist eine große Inspiration für meine Herangehensweise an das Songwriting.“
Wie sehr er in diesem Metier zuhause ist, hört man The Other Side Of Life: Piano Ballads tatsächlich schnell an. Die acht Songs verbreiten eine schöne Atmosphäre, sie behalten die Verträumtheit der Vorlagen, gewinnen aber Eleganz und Offenheit hinzu. Dass Gardner und Kwapis bei den Aufnahmen nicht mit Payseur im selben Raum waren, sondern sich – bedingt durch die Vorgaben und Schwierigkeiten im Lockdown – digital ausgetauscht haben, kann man kaum glauben, so organisch klingt das Ergebnis. Was auch daran liegt, dass die Gesangsmelodien vergleichsweise wenig verändert wurden. „Ich bin kein Jazzsänger und ich hatte nicht die Absicht, meinen Stil für dieses Album zu ändern“, stellt Payseur klar. „Die Idee war, dass mein Gesang der rote Faden zwischen den Originalversionen und den neuen Versionen sein sollte.“
In der Tat ist es beispielsweise in What A Pleasure vor allem sein Gesang, der das Stück im Bereich von (im weitesten Sinne) Pop hält, auch in That’s All For Now bleibt die Melodie prägend, diese Fassung des Tracks könnte eine extravagante Meditation der Beach Boys sein. This Year ist als Auftakt bereits typisch für den Sound der Platte, mit sanfter Grundstimmung und prominentem Saxofon. Sleep Apnea wird vor allem rhythmisch interessant und wirkt auch dadurch noch mehr wie aus einer Zwischenwelt zwischen Tag und Nacht. Down The Line schwebt irgendwo im Nebel oder hängt in einer ganz zarten Wolke.
Natürlich ist das alles äußerst eitel, in manchen Momenten (wie dem besonders abstrakten Adversity) auch ziemlich langweilig, nicht nur im Vergleich zum deutlich vielfältigeren Sound bei Beach Fossils. Mehr als die tatsächlichen 27 Minuten Spielzeit hätte The Other Side Of Life: Piano Ballads jedenfalls nicht haben dürfen. Aber Payseur sagt natürlich zu Recht: „Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie man einen Song kleiden kann, und jede Wahl führt zu einem radikal anderen Ergebnis.“ Abgemildert wird der Eindruck eines Ego-Trips hier zudem durch zwei weitere Effekte. Erstens zeigt sich, dass sein Vertrauen in die Stärke der eigenen Kompositionen durchaus gerechtfertigt ist. Zweitens wird die Platte mindestens ebenso sehr von der Bewunderung für das Können anderer Musiker getragen wie von seiner Selbstverliebtheit.