Künstler | Bell Book & Candle | |
Album | Wie wir sind | |
Label | Electrola | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Bell Book & Candle verkaufen dies natürlich als die Geschichte einer Selbstfindung, eines Reifeprozesses und des Immer-Noch-Zusammenhaltens. Man kann allerdings nicht anders, als die Karriere von Jana Groß, Andy Birr und Hendrik Röder als den Beweis für einen kontinuierlichen Abwärtstrend zu betrachten.
Am Beginn stand Pop, mit englischen Texten und internationalem Anspruch, der ihnen vor allem dank der Debütsingle Rescue Me immerhin mehr als zwei Millionen verkaufte Tonträger, Platin-Auszeichnungen in Deutschland und Österreich, Goldene Schallplatten in Schweden und Spanien sowie Charterfolge in mehr als 20 Ländern einbrachte. Ziemlich genau 20 Jahre ist das jetzt her. Was danach folgte, war Pop mit englischen Texten fürs deutsche Formatradio. Mit Wie wir sind sind Bell Book & Candle jetzt bei deutschen Texten angekommen. Man kann auch sagen: noch eine Stufe tiefer, beim Schlager.
Die morgen erscheinende Platte ist nicht nur das erste Album des Trios mit komplett neuen Songs seit Bigger im Jahr 2005. Es ist auch das erste deutschsprachige Album von Bell Book & Candle überhaupt. Die erstaunlichste Nachricht dabei: Die Texte von Sängerin Jana Groß, die auch bei früheren Alben ihre Ideen zunächst auf Deutsch formuliert hat, bevor sie dann für die Songs übersetzt wurden, sind das Beste an dieser Platte. Wie wir sind scheitert an der Musik. Oft gibt es leider geradezu groteske Effekte durch das Qualitätsgefälle zwischen Text und Sound.
So nah beispielsweise erzählt von einer Frau, deren Leben unspektakulär, sogar deprimierend monoton wirkt, deren Pflichtgefühl und Genügsamkeit aber heimlich von der Sängerin beneidet wird. Die Musik findet freilich keine Entsprechung für diese spannende und rührende Perspektive. Déjà-vu stellt die Frage nach der Möglichkeit von Wiedergeburt, ausgerechnet zu einem Dorfdisco-Beat. Nullpunkt erweist sich als ein Lied über Trauer, verpackt in einen schmierigen Latin-Pop-Sound. Das schlimme So wie du bist preist vermeintlich die Individualität, allerdings zu einer Komposition voller Klischees.
Älterwerden und Rückblick sind mittlerweile wichtige Themen bei Bell Book & Candle, wie in Wartesaal. Das Lied handelt von der Frage, ob die Liebe eines alten Paares stärker sein kann als die Demenz, allerdings wird daraus ein Song ohne Spannung, auch ohne die nötige Sensibilität. Sieben Seen, einer der besten Momente auf Wie wir sind, ist so etwas wie eine Liebeserklärung an das eigene Kind, zugleich so etwas wie eine Entlassungsurkunde aus der elterlichen Obhut, zu einem Sound, den man sich auch als Ballade von Silbermond vorstellen könnte. Durch die Jahre erzählt – leider erneut begleitet von lauter musikalischen Palttitüden – von einer Obdachlosen, die noch Hoffnung auf Glück hat, und stellt zugleich die Frage: Wann ist man angekommen im Leben?
Auch für ihre Rolle als nicht mehr ganz junge Frau findet Jana Groß durchaus gute Themen. Die Botschaft im Titelsong zum Auftakt heißt: Ich bin launisch und stolz darauf. Aus der Sicht einer Betrogenen singt sie Ich bin wie keine, leider zu einem Sound, den Rosenstolz auch nicht schwülstiger und billiger hätten fabrizieren können. In Wo willst du hin hat sie erkannt, wie wenig hilfreich es ist, sich männlicher Arroganz an den Hals zu werfen. „Es gibt Menschen, die sind Lieder / und du bist ein Liebeslied“, heißt es in der Single Liebeslied, die eingängig ist, aber spätestens im Refrain zum Schlager wird – womöglich liegt das an der Beteiligung von Produzent Thorsten Brötzmann (Unheilig, Helene Fischer, Fury In The Slaughterhouse).
Woran glauben wir zeigt, dass wir es bei Wie wir sind keineswegs mit einem klaren Fall von „die Söhne der Puhdys ruinieren mit ihrem Klangbrei die Poesie einer talentierten Sängerin und Erzählerin“ zu tun haben. Denn spätestens hier hat auch der Text seine Schwächen. Es geht um eine Verunsicherung, die durchaus auch politisch empfunden wird. Es wird in diesem Lied keine Bereitschaft zur Resignation erkennbar, aber auch kein Wille, sich anzustrengen, um nach einer Analyse vielleicht zu Lösungen zu kommen. Zum Abschluss gibt es nach eine Coverversion von Rio Reisers Junimond und die Erkenntnis: Das ist nach wie vor ein sehr schönes Lied, dem Bell Book & Candle keine Gewalt antun, aber auch nichts hinzufügen.
Wie wir sind betrachtet das Trio wohl als so etwas wie den Beginn eines zweiten Karriereabschnitts, diesmal auf Deutsch. Anders als ihr auch hier wieder beteiligter Produzent Ingo Politz, der einst gemeinsam mit der Band seinen Durchbruch feierte und danach etwa auch für Silbermond, Lena Meyer-Landrut und Silly tätig war, haben sie aber nie wieder das Level der ersten Single erreichen können. Vielmehr bleibt der Eindruck: Bell Book & Candle haben nicht rechtzeitig aufgehört.
Auch das Video zu Liebeslied ist weitgehend eine One-Woman-Show.
Bell Book & Candle gibt es demnächst auch wieder live zu erleben:
06.04.18 Dresden, Tante JU
07.04.18 Freyburg, Rotkäppchen-Mumm Sektkellerei
21.04.18 Gera, Comma
28.04.18 Erfurt, DasDie
02.06. Dippoldiswalde, Stadtfest 800 Jahr Feier
22.06. Salzgitter, Altstadtfest Salzgitter
25.08. Finsterwald, Sängerfest Finsterwalde