Künstler*in | Ben Harper | |
Album | Wide Open Light | |
Label | Chrysalis | |
Erscheinungsjahr | 2023 | |
Bewertung | Foto oben: (C) Cargo Records |
Über seine Wurzeln und seine Familie, vor allem den Einfluss seines Vaters, hatte Ben Harper noch 2021 auf Bloodline Maintenance gesungen. Die Platte war kraftvoll, aufwühlend, funky und üppig und brachte dem dreifachen Grammy-Preisträger eine weitere Nominierung für den berühmtesten aller Musikpreise ein (auch wenn er in diesem Fall nicht die Trophäe mit nach Hause nehmen konnte). Beim Nachfolger will der mittlerweile 53-Jährige nichts mehr von Familie wissen, auch nichts von „kraftvoll“ und „üppig“. Die elf Stücke auf Wide Open Light sollen ganz aus sich selbst heraus funktionieren, sagt er. Mehr noch: Sie seien selbst so etwas wie ein eigener Stammbaum, jedes Stück mit Beziehungen zu den jeweils anderen. „Es gab einmal eine Zeit, in der Alben keine begleitende Geschichte oder Fabel brauchten. Als die Songs noch ausreichten. Ich freue mich darauf, zu dieser Zeit zurückzukehren“, sagt er zur Veröffentlichung seines 17. Studioalbums.
Was zuerst auffällt: wie ursprünglich und reduziert alles ist. Ganz oft agiert Ben Harper nur mit Gesang und Gitarre, allenfalls ein paar zusätzlichen Klangtupfern. Fast könnte man Wide Open Light für eine Sammlung von Demos halten, aber – siehe oben – der minimalistische Charakter ist erstens voll und ganz Absicht und zweitens wunderbar passend für diese Lieder, die Harper in einem Gespräch mit Harper’s Bazaar als “black folk soul music” bezeichnet hat.
Was damit gemeint ist, zeigt One More Change am deutlichsten: Mit einem Motown-Beat und/oder satten Stax-Bläsern würde das einen tollen Schmachtfetzen abgeben oder eine (leider immer noch aktuelle) Hymne der Bürgerrechtsbewegung. Aber rund um die Zeilen „I got just one more chain to break / I got just one more change to make” gönnt sich der Künstler lediglich einen weiblichen Backgroundchor, sodass die Botschaft umso deutlicher in den Vordergrund rückt. Giving Ghosts klingt wie ein Blues aus der Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, einschließlich der zauberhaften Idee, einen Toast „auf das Aufgeben“ auszusprechen. Auch in Growing Growing Gone (“Human nature isn’t nature at all / just an excuse we use with our backs against the wall”) klingt Harper weise wie ein doppelt so alter Mann.
8 Minutes könnte von Simon & Garfunkel sein, wegen seines sehnsuchtsvollen Sounds, aber auch wegen der Überzeugung, dass sich alles im Leben in einen poetischen Song verwandeln lässt. Shelby Lynne unterstützt darin mit einer zweiten Stimme. Beim Yard Sale ist Jack Johnson an Gitarre und Gesang dabei. „It seemed a bit too late for goodbye sex”, lautet darin längst nicht die schmerzhafteste Erkenntnis, schon eher trifft das auf die Vermutung “I’m pretty sure she’s gone for good” zu.
Tolle Textzeilen findet man auf Wide Open Light ohnehin reichlich. “You looked at me / and my skin jumped from my bones”, heißt es im Titelsong, bei dem Piers Faccini als Gast mitwirkt. “Now I sit and watch myself go insane / it’s a bittersweet freedom / but it’s freedom all the same”, lautet die Erkenntnis in Love After Love, das gegen Ende kurz etwas opulenter wird. Auch Trying Not To Fall In Love With You, das von einem hoch dramatischen Klavier begleitet wird, hat einen unglaublich guten Text und zeigt zudem besonders deutlich die Stärke seiner Stimme, die faszinierenderweise auch in ihrer Brüchigkeit liegt. Die vielleicht romantischste Zeile des Albums lautet „Loving you is my masterpiece“. Sie stammt aus dem zärtlichen, sanften, wunderhübschen und hingebungsvollen Masterpiece. Das Lied zeigt: In den besten Momenten ist Ben Harper hier so märchenhaft gut, dass er tatsächlich keine Fabel rund um eine Platte stricken muss.