Berlin Festival, Flughafen Tempelhof, Tag 1

Den Killers fehlt in Berlin der letzte Quäntchen Begeisterung. Foto: Berlin Festival
Den Killers fehlt in Berlin der letzte Quäntchen Begeisterung. Foto: Berlin Festival

Dass Musik eine Botschaft braucht, weiß man wohl nirgends so gut wie in Berlin. Schließlich hat hier die Love Parade mit lustigen Mottos wie „Music Is The Key“ oder „Let The Sunshine In Your Heart“ jahrelang das Recht erworben, als politische Demonstration zu gelten – und damit dem Steuerzahler jedes Jahr Kosten von ein paar Hunderttausend Euro dafür beschert, dass die Raver sicher feiern und sich nicht um die hinterlassenen Müllberge kümmern mussten.

Beim Berlin Festival 2012 habe ich deshalb den ersten Tag genutzt, um am Flughafen Tempelhof nach würdigen Nachfolgern für diese Botschaften zu suchen. Mit erstaunlichen Ergebnissen.

Künstler: Kate Nash
Botschaft: Verpisst euch!

Kate Nash liebt Berlin. Zumindest twitterte sie vor ihrer Show noch das Bedürfnis, dort demnächst einmal Urlaub zu machen. Ich gebe zu, dass ich direkt vom Ostseestrand zum Festival kam und deshalb nur noch den letzten Song ihrer Show mitbekommen habe. Aber das hat gereicht, um festzustellen: Diese Liebe beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Dass ihre All-Girl-Band neuerdings auf Gothic-Look setzt, ist dabei noch verzeihbar. Frappierender ist, wie demonstrativ schlecht gelaunt Kate Nash beim Berlin Festival auf der Bühne steht und wie entschlossen sie zu versuchen scheint, endlich all diese flüchtigen Fans loszuwerden, die bloß zu Pumpkin Soup tanzen wollen.

Das ist nicht nur einigermaßen unreif, sondern steht – nach allem, was ich danach gehört habe – auch einem unterhaltsamen Konzerterlebnis im Weg. Dass Kate Nash ein gewaltiges Problem mit ihrer Role-Model-Vereinnahmung hat und, wenn sie schon zur Girl-Ikone stilisiert will, wenigstens lieber PJ Harvey sein will als Katy Perry, haben wir inzwischen verstanden. Gegen mehr Lächeln und weniger „fuck“ wäre trotzdem nichts einzuwenden.

Künstler: We Have Band
Botschaft: Party!

Hinter den drei Leuten auf der Bühne im Hangar 5 stehen drei Buchstaben: WHB. Natürlich steht das für We Have Band, aber das Trio aus Manchester ist live schon wieder so unfassbar gut, dass es genauso gut „World’s Happiest People“ bedeuten könnte. Ob We Have Band eine Clubshow spielen oder bei einem Festival, scheint dabei kaum einen Unterschied zu machen. Freundlicherweise unternehmen sie auch noch eine Spontan-Umfrage zur demografischen Zusammensetzung des Berlin Festivals. Wenn ihr Publikum repräsentativ ist, dann kommen (hochgerechnet anhand des Lärmpegels nach der Nennung der jeweiligen Stadt) 18 Prozent der Gäste aus Hamburg, 8 Prozent aus Frankfurt, 11 Prozent aus Köln und 73 Prozent aus Berlin. Macht 110 Prozent – kein Wunder bei diesem Spaßfaktor.

Künstler: Tocotronic
Botschaft: Sie wollen uns erzählen

Tocotronic reihen sich beim Berlin Festival in die lange Reihe von Bands ohne aktuelles Album in diesem Festivalsommer ein. Ihr Auftritt in Tempelhof ist trotzdem erfreulich – bis auf die Tatsache, dass bei Let There Be Rock die letzten drei Buchstaben wohl falsch gen Himmel kommuniziert wurden und irgendjemand da oben das Ganze als Let There Be Rain missverstanden hat.

Ansonsten gefällt vor allem die erste Hälfte der Show, in der sich Sänger Dirk von Lowtzow nicht verkneifen kann, noch einmal an die prophetische Aussage von Mein Ruin (2007) zu erinnern. Dazu wird im Hintergrund noch einmal der junge Mann vom Kapitulation-Cover eingeblendet – und sein leerer Blick könnte tatsächlich von den Ereignissen in Spanien oder Griechenland geprägt sein. Auch sonst geben sich die Hamburger wie immer gerne ein bisschen schlauer, als sie eigentlich sind, und beziehen genau daraus ihren Charme.  Keine Frage: Tocotronic sind noch immer die besten blasierten Blödmänner des Landes.

Künstler: Frittenbude
Botschaft: Wir lieben es!

Kontrastprogramm gibt es im Hangar 5: Im Hause Frittenbude legt man bekanntlich keinen allzu großen Wert darauf, intellektuell oder subtil erscheinen zu wollen. Das ist kein Problem, wenn man stattdessen einen halben Zoo aus Vollkörperverkleidungstieren auf der Bühne hat (was nebenher noch einmal Cro daran erinnern dürfte, wer die Nummer mit dem Panda erfunden hat) und mit simplen Ideen wie einem kurzen „Hyper, Hyper“-Ruf oder dem „Kassenbon der Liebe“ (eine riesige Papierrolle, die durchs Publikum wandert) für reichlich Spaß sorgen kann.

Als letzter Song erklingt Mindestens in 1000 Jahren, und das wird zum ersten großen Moment des Festivals. Die Fans sind so begeistert, dass sie nach dem Ende des Lieds einfach immer weiter singen. Frittenbude dürfen daraufhin sogar eine Zugabe spielen, Bilder Mit Katze, Raveland und Hildegard gibt es als Bonus. Ein Fest.

Künstler: Sigur Rós
Botschaft: Setz dich hin!

Wer glaubt, Sigur Rós seien als Festivalband ungeeignet, wird im Tempelhof schnell eines Besseren belehrt. Die Isländer haben durchaus ein paar kraftvolle Momente zu bieten und verursachen bei ihren Fans ansonsten das wohl intensivste Kopfnicken der Welt, bevorzugt im Sitzen ausgeführt. Und Sigur Rós sorgen für noch eine überraschende Erkenntnis: Selbst an einem polyglotten Ort wie diesem, der vor nicht allzu langer Zeit noch ein internationaler Flughafen war, klingt Isländisch noch wie eine äußerst, äußerst, äußerst exotische Sprache.

Künstler: Miike Snow
Botschaft: I’m Still An Animal!

Dass Animal ein gottverdammter Hit ist, wussten wir schon lange bevor Miike Snow ihr Konzert beim Berlin Festival 2012 damit beschlossen. Trotzdem bekommt der Track in dieser triumphalen Version noch eine neue Dimension: Die Falsett-Stimme von Andrew Wyatt klingt darin ja alles andere als gefährlich, bedrohlich oder animalisch. Sieht man ihn dazu aber vor sich, mit langen Haaren, wildem Bart und Lederjacke, dann kauft man ihm die Zeilen „Nobody knows it but me / but when I slip I’m still an animal“ viel eher ab.

Künstler: The Killers
Botschaft: Wer hat’s erfunden?

Eines vorweg: Die Killers erweisen sich beim Berlin Festival 2012 als würdige Headliner. Es gibt reichlich Hits, einen erstaunlich dezent (nämlich ganz in Schwarz) gekleideten Brandon Flowers und die einigermaßen irritierende Botschaft, dass Mark Stoermer seinen Feldzug zur Wiedercoolmachung des Slap Bass noch längst nicht beendet hat. Die Songs vom brandneuen Album Battle Born fügen sich wunderbar ein und zeigen, wie viele schmackhafte Früchte man auf dem Acker zwischen Bruce Springsteen und, ähm, Meat Loaf noch ernten kann. Und mit einer kurzen Coverversion von Alphavilles Forever Young beweist Brandon Flowers, nur von der Gitarre begleitet, noch einmal, was er für ein fantastischer Sänger ist. Die Killers sind noch immer genau wie ihre Heimatstadt Las Vegas: Es gibt hier ganz viel Spektakel, das im Zweifel zwar woanders erfunden wurde, aber trotzdem kann man kaum anders als beeindruckt davon sein.

Zwei Dinge stehen einem wirklich großartigen Auftritt der Killers im Weg: Zum einen eine seltsame Setlist (siehe unten), die immer wieder nach tollen Momenten für Downer sorgt. So gibt es nach Bling und Human, als die Stimmung gerade denkbar euphorisch ist, leider einen argen Spannungsabfall. Zum anderen fehlt den Amerikanern das letzte bisschen Begeisterung. Die Killers spielen eine mehr als solide Show. Aber sie haben sich womöglich ein bisschen mehr als das von diesem Auftritt versprochen – und einigen Fans im Publikum geht es im Regen vor der Hauptbühne wohl ähnlich, sodass die echte Ekstase ausbleibt. Dass Brandon Flowers nach exakt einer Stunde ohne ein Wort des Dankes oder Abschieds von der Bühne geht, passt da irgendwie ins Bild – auch wenn er dann noch einmal für zwei Zugaben zurückkehrt.

Die komplette Setlist der Killers beim Berlin Festival:

1. Runaways

2. Somebody Told Me

3. Smile Like You Mean It

4. Spaceman

5. For Reasons Unknown

6. Bling

7. Shadowplay

8. Miss Atomic Bomb

9. Human

10. A Dustland Fairytale

11. Forever Young

12. Read My Mind

13. Mr. Brightside

14. All These Things That I’ve Done

Zugaben:

15. Jenny Was A Friend Of Mine

16. When You Were Young

The Killers spielen Miss Atomic Bomb beim Berlin Festival 2012:

httpv://www.youtube.com/watch?v=-JP1pFgyVWc

 

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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