Festivals sind Zapping. Man schaut an dieser Bühne mal vorbei, dann bei der nächsten Band, zwischendurch testet man sich durch die Essensstände. Überall ist man nur kurz, um nichts zu verpassen und möglichst viel mitzunehmen. Das ist das Prinzip. Der Blick aufs Berlin Festival 2013 erfolgt deshalb diesmal in 10-Minuten-Häppchen.
Zehn Minuten als Zeugwart von Mia: Es muss die Hölle sein. Irgendwo backstage steckt dieser Zeugwart, überschüttet von einem ganzen Haufen Klamotten, Perücken und Schuhen. Denn die Berliner genießen ihr Heimspiel sichtlich, und Frontfrau Mieze hat bei gefühlt jedem Lied ein neues Outfit zu bieten. Ballerina, Matrose, Eiskunstläuferin, ein wandelndes Kirmesherz und ein pinkfarbener Plüschbademantel (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge) gehören dazu. Sehr kurzweilig, was übrigens für die gesamte Show gilt.
Zehn Minuten hinter den Jalousien der Pet Shop Boys. Jalousien bilden den Bühnenhintergrund des Duos aus London, das im Tempelhof frenetisch gefeiert wird. Kein Wunder: Neil Tennant und Chris Lowe bieten ein famoses Spektakel, mit einem guten Mix aus Klassikern und aktuellen Songs. „Somehow everybody in Germany loves that song“, sagt Tennant, als er zum Abschluss Go West ankündigt. Es ist tatsächlich ein Hochgenuss, diese beiden Figuren zu sehen, die für die meisten der Acts beim Berlin Festival den Weg geebnet haben. Und es ist kaum zu fassen, Tennants Stimme live zu hören. Wenn dieser Mann beim Bäcker „Zwei Brötchen bitte“ bestellt, dann dürfte das bereits wie ein Elektropop-Klassiker klingen.
Zehn Minuten Villagers: Jazz.
Zehn Minuten unterm Rock von Maja Ivarsson. Ganz schön eng ist es hier, ein bisschen heiß auch. Zudem muss man den Eindruck haben, alle würde ständig hierher schauen. Zum Glück wird es langsam etwas besser. Heller, luftiger. Denn die Sängerin von The Sounds, die für die Show in Berlin auf einen schwarzen Minirock setzt, verbringt große Teile des Auftritts damit, den Saum immer noch ein Stückchen höher zu ziehen, bis am Ende auch noch das ansonsten gut versteckte Tattoo auf ihrem rechten Oberschenkel zum Vorschein kommt. Und ihr Höschen, als sie mit ihrem Nach-der-Show-Stretching anscheinend nicht mehr bis nach der Show warten kann und sie sich stattdessen streckt, indem sie ihren Fuß auf dem Keyboard ablegt. Als Anheizer funktioniert das deutlich besser als die Musik der Schweden, die wunderbar wie stets ist, aber am späten Nachmittag in Berlin lange Zeit nicht so recht zünden will.
Zehn Minuten als Soundtechniker vor der Hauptbühne: Ziemlich nervenaufreibend. Während der Pet Shop Boys gibt es immer wieder kurze Komplettaussetzer, auch bei den Acts vorher sind die Klänge oft vom Winde verweht. Je näher man vor der Bühne ist, desto besser wird es zwar. Aber die Entscheidung, die Hauptbühne ans andere Ende des Festivalgeländes zu verlegen, war in punkto Klang offensichtlich nicht allzu schlau.
Zehn Minuten Get Well Soon: Konstantin Gropper bietet wunderhübsche Opulenz, und er hat zudem das schickste Outfit aller Künstler des Freitags beim Berlin Festival zu bieten. Und noch ein Qualitätsmerkmal: Geht man zur Hälfte seiner Show (beispielsweise, weil man die Pet Shop Boys sehen will, also aus nachvollziehbaren Gründen) und bewegt sich von der Bühne weg, schaut man in sehr viele sehr glückliche und sehr schöne Gesichter.
Zehn Minuten im Leben von Phil Daniels: Das Leben von Schauspieler Phil Daniels ist nicht mehr allzu turbulent. Er spielt manchmal einen Opa namens Trotter in einer BBC-Serie oder er spricht eines der Hühner in Chicken Run. Während Blur beim Berlin Festival das irre Country House spielen, dürfte sich bei ihm aber Nervenkitzel, vielleicht sogar Lampenfieber einstellen. Denn unmittelbar danach hat er seinen großen Auftritt: Zu Parklife kommt er auf die Bühne, im weißen Fußballtrikot mit Blur-Beflockung, und legt sich ins Zeug. Es ist ein Highlight inmitten von Highlights: Blur beginnen mit Girls & Boys und beenden die Zugabe mit Song 2, und dazwischen gibt es ein entzückendes Britpop-Hochfest. Damon Albarn spingt in seiner Jeansjacke umher wie in besten Zeiten (und zeigt sich kurz von Tempelhof beeindruckt als „a special place in German history“), Alex James grinst sich einen und Graham Coxon ist nach wie vor der coolste Gitarrist der Welt. Ein Blick ins Publikum zeigt 20.000 Menschen, die sich nie hätten träumen lassen, diese Band im Jahr 2013 noch einmal in so phänomenaler Form erleben zu dürfen (zuletzt haben Blur vor acht Jahren in Deutschland gespielt). Und Sänger Damon Albern hat durch Nebenprojekte wie die Gorillas oder The Good, The Bad & The Queen deutlich an musikalischer Seriosität gewonnen. Das gibt auch den Liedern von Blur, vor allem Balladen wie The Universal oder This Is A Low, eine ungeahnte Gravitas, und lässt Kurzweiliges wie Country House oder eben Parklife weniger oberflächlich erscheinen. Schon vor der Show sind übrigens die Blur-T-Shirts am Merchandising-Stand ausverkauft. Vollkommen nachvollziehbar.