Künstler | Biffy Clyro | |
Album | MTV Unplugged Live At The Roundhouse London | |
Label | Atlantic | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
„Don’t believe the lamb / believe the wolf“, singt Simon Neil in Small Wishes ungefähr nach zwei Dritteln dieses Unplugged-Konzerts. Wie aufs Stichwort ertönt Wolfsgeheul aus dem gut 3000 Leute umfassenden Publikum im Londoner Roundhouse, wo Biffy Clyro am 8. November 2017 Gastgeber der legendären MTV-Serie waren. Die Reaktion zeigt eine der wichtigsten Stärken der Schotten, die auch an diesem Abend omnipräsent ist: Ein enges Band zu ihren Fans, das ein hohes Maß an Identifikation mit dieser Musik ermöglicht, und das sie immer wieder sehr geschickt einsetzen, ohne dabei kalkuliert zu wirken.
In der Tat ist die Interaktion mit dem Publikum eine der größten Pluspunkte dieser Platte. Fans gibt es reichlich nach sieben Studioalben, von denen die letzten vier jeweils mindestens Platz 3 im UK erreicht hatten, und wie sehr sie diesen speziellen Abend genießen, ist unverkennbar. Die ersten Wörter, die man auf MTV Unplugged – Live At The Roundhouse London hört, sind die „Mon The Biff“-Sprechchöre der Fans, dann erfolgt ein lakonisches „Good evening, London“ als Begrüßung, beim ersten Song The Captain singen die Fans dann sofort mit, ohne dass ein Aufwärmprogramm nötig wäre. „That was gorgeous“, darf Simon Neil etwas später nach Re-Arrange feststellen, und das meint die Performance seiner Bandkollegen ebenso wie die aus dem Saal artikulierte Dankbarkeit dafür. Ganz am Ende, als Machines die akustische Show mit Streichern und vergleichsweise viel Opulenz beschließt, ist es noch herzzerreißender, wie die Fans mitgehen.
Eng damit verbunden ist ein weiteres wichtiges Alleinstellungsmerkmal bei Biffy Clyro, das im Unplugged-Kontext ebenfalls klar hervortritt: Viel mehr Down-To-Earth kann man nach zwei Nummer-1-Alben wahrscheinlich nicht sein. Das zeigt sich hier im absichtlich verhunzten Gitarren-Fill-In von Biblical, das dem Abend bewusst etwas von seinem sakralen Element nimmt, ebenso wie im Witz, eine Mundharmonika sei bei jeder Unplugged-Show quasi gesetzlich vorgeschrieben, bevor eine solche in Drop It erklingt. Nach Medicine, einem der intimsten und gefühlvollsten Momente der Show, erzählen Biffy Clyro noch ein wenig davon, wie sie früher im Proberaum immer Nirvanas MTV Unplugged gehört haben – und sagen damit zwischen den Zeilen: Wir können es selbst kaum fassen, jetzt hier zu stehen und uns in eine Reihe mit unseren Helden zu stellen. Nicht zuletzt die Natur-Dekoration mit Blumen, Sträuchern und Bäumen auf der Bühne unterstreicht: Wir sind echt.
Das wichtigste Instrument für diese Botschaft ist auch auf MTV Unplugged – Live At The Roundhouse London die herrlich kaputte Stimme von Simon Neil. Sie sorgt für viel Spannung in Different Kind Of Love, dem einzigen neuen Song, der an diesem Abend erklingt. Sie packt so viel Gefühl in Opposites, dass man feststellen muss: So nah waren Biffy Clyro sicher nie zuvor an Emo. Noch ein bisschen mehr Emotionalität steckt im Cover des Beach-Boys-Klassikers God Only Knows. Es wird nicht nur zu einem der wenigen Überraschungsmomente der Show, sondern erweckt auch den Eindruck, als seien den drei Musikern alle Lieder an diesem Abend unglaublich wichtig, aber dieses eine würde ihnen vielleicht noch ein bisschen mehr am Herzen liegen.
Nicht zuletzt beweisen Biffy Clyro auch ohne Verstärkung, was für groflartige Rocksongs sie im Repertoire haben. Zwar verzichten sie vollständig auf Lieder aus dem Frühwerk (es gibt kein einziges Stück von den ersten drei Alben zu hören), dennoch ist die Auswahl mehr als beeindruckend. Der Bass in Bubbles bleibt glücklicherweise elektrisch, damit er zeigen kann, wie wichtig er für dieses sagenhaft kraftvolle Lied ist. Und spätestens Mountains lässt die – neben Fan-Nähe, Bodenständigkeit, Gesang und Leidenschaft – wichtigste Stärke der Schotten strahlen: Der Refrain hat so viel Stärke und Größe, dass man zu diesem Lied wohl „Hymne“ sagen darf.