Bill Ryder-Jones – „Yawn“

Künstler Bill Ryder-Jones

Bill Ryder-Jones Yawn Review Kritik
Fast alles auf „Yawn“ hat Bill Ryder-Jones selbst eingespielt.
Album Yawn
Label Domino
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

„Wenn ich morgen sterbe, verdient meine Plattenfirma wahrscheinlich ein Vermögen“, sagt Bill Ryder-Jones zum heutigen Erscheinen seines neuen Albums Yawn. Die These ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Beim fünften Soloalbum und im Alter von 35 Jahren ist der große Durchbruch beim Massenpublikum als Lebender wohl nicht mehr allzu wahrscheinlich. Zugleich hat seine Musik genug Anziehungskraft (und gelegentliche Morbidität), um aus Anlass einer tragischen Nachricht dafür sorgen zu können, auch deutlich mehr Hörer zu begeistern. “There’s a fortune to be had / from telling people you’re sad”, heißt es treffenderweise im behutsamen Auftakt There’s Something On Your Mind. Auch danach blickt der Mann aus West-Kirby, der einst Gründungsmitglied von The Coral war, gerne auf die dunklen, makabren und traurigen Phänomene des Lebens.

Es gibt Weisheiten wie Time Will Be The Only Saviour, in dem selbst das Schlagzeug zu flüstern scheint und trotzdem zwischendurch große Spannung entsteht. Es gibt die bei ihm beliebten Wortspiele wie in And Then There’s You, in dem er “My mistrust, my mistress, takes me home again / my mistress, my mistrust, we’re alone again”, singt, mit einem herrlich melancholischen Refrain, der zu Nada Surf passen würde. Und es gibt mit John ein Lied über das Vermissen, die Sehnsucht und die Erinnerung, das offensichtlich an jemanden gerichtet ist, der ihm sehr nahe stand und nun nicht mehr da ist.

Zugleich findet sich wie auf den früheren Werken natürlich eine Prise von schwarzem Humor, wie ihn auch schon das eingangs erwähnte Zitat erkennen lässt. Der Happy Song, der den Abschluss der zehn Lieder auf Yawn bildet, ist dafür das prominenteste Beispiel. „Ich habe versucht, so etwas wie Get Lucky zu schreiben, und ich bin ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis“, witzelt Bill Ryder-Jones. Natürlich hat der Track keinerlei Ähnlichkeit mit dem Hit von Daft Punk, wie sich schnell zeigt: Tempo, Tonart, Text („Just another happy song / for people who were happy once”, reimt er) – all das müsste geändert werden, um daraus wirklich ein fröhliches Lied zu machen.

Auch in den Songtiteln erkennt man diese Vorliebe für Ironie als pragmatisches Mittel, mit den Übeln der Welt klarzukommen. There Are Worse Things I Could Do (das Lied pendelt zwischen Garagensound und Schläfrigkeit, also in einer Gegend, in der sich beispielsweise auch die Eels sehr wohl fühlen), No One’s Trying To Kill You (eine Aussage, die hier untröstlich und fast wie eine Entschuldigung klingt) oder Don’t be Scared, I Love You (das tatsächlich auf Beschwichtigung aus zu sein scheint, auch wenn die stetigen Wiederholungen dann einen eher hypnotischen Effekt entwickeln) sind Beispiele dafür.

Dass man so zu einem Kultmusiker mit einer kleinen, aber feinen Anhängerschar wird („Weil ich ziemlich unbekannt bin, haben mich meine Fans umso mehr in den Händen“, sagt Bill Ryder-Jones über sein Publikum), verwundert kaum. Die Fähigkeit, auch jenseits davon zu begeistern, beweist er in jedem Fall auch hier problemlos. Recover, sein liebster Song auf dem Album, könnte mit seinem sehr fidelen Riff auf der akustischen Gitarre, das von Cello und hauchzartem Gesang umwoben wird, auch zu Badly Drawn Boy passen. Das seiner Mutter gewidmete Mither ist bis auf das Cello (eines der wenigen Instrumente, die er nicht selbst eingespielt hat) recht nahe am klassischen Rocksound und zeigt mit langen Passagen ohne Text zudem: Bill Ryder-Jones will auf Yawn nicht nur seine kompositorischen Stärken, sondern auch seine Fähigkeiten als Instrumentalist betonen. Die Fans dürften das lieben – und auch die Plattenfirma wird ihm hoffentlich weiter ein langes Leben wünschen.

In einer alten Fabrik ist das Video zu Mither entstanden – nach dem Blick zu urteilen, gegen den Willen von Bill Ryder-Jones.

Im November gibt es Bill Ryder-Jones viermal live in Deutschland
21.11.2018 München, Ampere/Muffatwerk w/ Gruff Rhys
22.11.2018 Berlin, Privatclub w/ Gruff Rhys
23.11.2018 Hamburg, Uebel & Gefahrlich/Turmzimmer w/ Gruff Rhys
27.11.2018 Köln, Studio 672 w/ Gruff Rhys

Website von Bill Ryder-Jones.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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