Künstler | Black Lips | |
Album | Sing In A World That’s Falling Apart | |
Label | Fire Records | |
Erscheinungsjahr | 2020 | |
Bewertung |
Die Geschichte der Black Lips, die vor gut 20 Jahren begann, enthält eine Menge, um den Ehrentitel der „Bad Kids of 21st Century Rock’n‘ Roll“ (Presse-Info) zu rechtfertigen. Sie sind von der Schule geflogen, haben Feuerwerkskörper im Tonstudio gezündet und Entzugskliniken kennengelernt. Sie haben angeblich ein Album in einer Bar in Mexiko aufgenommen und mussten nach einer Show aus Indien fliehen, nachdem sie auf der Bühne ihre Schwänze rausgeholt hatten und eine Verhaftung drohte.
Nun erscheint mit Sing In A World That’s Falling Apart ihr neuntes Studioalbum, und plötzlich ist von Country die Rede, sogar von einem erwachsenen Sound. Das ist erstens ein Schock und zweitens nicht ganz falsch. Hooker Jon eröffnet die Platte, es rumpelt und raunzt wie Dylan zu Highway 61-Zeiten, das Ergebnis kann man sich eher in einer Südstaaten-Spelunke mit wenig Publikum vorstellen als auf einer großen Festivalbühne. Später werden Cowboys und Mustangs besungen (Angola Rodeo), es erklingt eine Mundharmonika (etwa in Rumbler), die Black Lips wirken wie The Byrds, nachdem sie das erste Mal Red Bull getrunken haben (Holding Me Holding You) oder sie setzen auf reichlich Gitarren, von denen keine einzige ohne Bottleneck gespielt zu werden scheint (Chainsaw).
Fans von Cole Alexander (Gesang, Gitarre), Jared Swilley (Gesang, Bass), Oakley Munson (Schlagzeug), Zumi Rosow (Saxofon) und Jeff Clarke (Gesang, Gitarre) müssen trotzdem keine Angst haben, ihre Lieblinge seien plötzlich langweilig geworden. Dishonest Men beispielsweise hat unverkennbar einen Hang zu Aufruhr und Gefahr, vor allem durch das peitschende Schlagzeug, das an die Zeit erinnert, als Elvis Presley mit solchen Klängen die Welt in Flammen setzte, und in der sehr freigeistigen Gitarrenarbeit. Georgia setzt auf Boom-Tschicka-Boom à la Johnny Cash, man muss bei diesem Beat zwingend eine Dampflok vor sich sehen, die mit unbändiger Energie gen Westen (oder eben nach Georgia, den Heimatstaat der Black Lips) stürmt. Die Musik in Locust klingt fast betont harmlos, aber sie bekennen sich darin zu Dreck und Außenseitertum, Odelia scheint auch kein ganz braves Mädchen zu sein.
Ihre Abenteuerlust und Sympathie für Outlaws stecken die Black Lips auf Sing In A World That’s Falling Apart eher in die Texte als in offenkundige Lärm-Rock-Provokationen. Get It In Time zeigt das gut – auch, weil das Stück von der toll kaputten Stimme lebt und ansonsten über weite Strecken sehr reduziert bleibt. Man ahnt aber, dass es am Ende Lust auf Ausbruch und Eskalation hat, die freilich nur angedeutet werden – dass der Song nach ziemlich genau drei Minuten ausgeblendet wird, scheint eine Sicherheitsmaßnahme zu sein. Die Single Gentleman, das beste Lied des Albums, hat nicht nur einen tollen Refrain, der von Chor und Bläsern unterstützt wird, sondern auch viel Romantik und Sehnsucht, wie die Stones im Exile oder Primal Scream auf einer ihrer Zeitreisen.
Live Fast Die Slow schließt Sing In A World That’s Falling Apart ab. Das Stück beginnt genau in dem Moment, in dem der Rausch zum Kater wird, mit all der Klarheit und Verbitterung, die das mit sich bringt. Erst ganz am Ende offenbart es mit ein paar angedeuteten Soundeffekten, dass es überhaupt aus diesem Jahrhundert stammt. Auch damit zeigen die Black Lips, dass sie zwar einen Schwerpunkt auf ein anderes Genre legen, von ihrem Appeal dabei aber wenig verloren haben: Sie nähern sich dem Country genauso kraftvoll, wild und ausgelassen, wie sie es zuvor mit Rock getan haben – und lassen ihn genauso ungemütlich klingen.