Keine Frage: Armut ist auch in Deutschland längst kein Problem von Minderheiten mehr. Sie erreicht Bevölkerungsschichten, die sich noch vor 15 oder 20 Jahren ihres Auskommens sicher sein konnten. Plötzliche Arbeitslosigkeit kann heute fast jeden treffen – mit allen Folgen für den Lebensstandard. Und Hartz IV mag für einige ehemalige Sozialhilfeempfänger eine Chance sein. Doch für 2,5 Millionen Langzeitarbeitslose ist es ein Schicksal.
Dennoch muss man sich verwundert die Augen reiben, wenn angesichts der gestiegenen Preise für Milch und Milchprodukte eine prompte Anpassung der Hartz-IV-Sätze gefordert wird. Scheinbar laktosesüchtige Chinesen und demnächst angeblich in Saus und Braus lebende Bauern haben ganz offensichtlich eine Hysterie ausgelöst, der im Sommerloch auch einige Politiker zum Opfer gefallen sind.
Doch es gilt, die volkswirtschaftliche Kirche im Dorf zu lassen. Selbst wenn Milch, Käse und Joghurt tatsächlich dauerhaft um 20 Prozent teurer werden sollten – was angesichts des harten Konkurrenzkampfes im Handel keineswegs sicher ist -, würde das allgemeine Preisniveau gerade einmal um 0,2 Prozentpunkte steigen.
Vor allem aber sollten Politiker wie Ottmar Schreiner und Dieter Althaus ihre eigenen Gesetze lesen, bevor sie blanken Unsinn in die Welt posaunen. Denn es gibt bereits Anpassungsmechanismen für die Hartz-IV-Sätze. Die Höhe ist – ebenso wie die Renten – an die jährliche Lohnentwicklung gekoppelt. Und das ist auch der einzig vernünftige Bezugspunkt. Erst im Juli wurde der Grundbetrag um zwei Euro erhöht. Freilich ist es noch immer kein Zuckerschlecken, mit nun 347 Euro im Monat auszukommen. Doch zwei Euro mehr entsprechen einer Anhebung um 0,54 Prozent – das reicht zweieinhalbmal, um die höheren Milchpreise auszugleichen. Auch der Hinweis auf gestiegene Energiepreise ist irreführend. Denn zumindest die Kosten für Heizung bekommen Hartz-IV-Empfänger neben der Miete ohnehin schon erstattet.
Vor allem aber wird bei den Forderungen vergessen, dass auch vielen Menschen, die jeden Tag zur Arbeit gehen, kaum mehr zum Leben bleibt als Hartz-IV-Empfängern. Statt üppiger Lohnerhöhungen standen und stehen in vielen Unternehmen Kürzungen und Überstunden auf dem Programm. Strom, Sprit und Milch müssen trotzdem bezahlt werden. Und die Reallohneinbußen der Arbeitnehmer werden nirgends per Gesetz automatisch ausgeglichen. Obwohl sie mit ihren Beiträgen erst Hartz IV finanzieren.