Blau ist eine warme Farbe

Film Blau ist eine warme Farbe

Blau ist eine warme Farbe Kritik Rezension
Adèle (Adèle Exarchopoulos, links) verliebt sich in Emma (Léa Seydoux).
Originaltitel La vie d’Adèle
Produktionsland Frankreich, Belgien, Spanien
Jahr 2013
Spielzeit 179 Minuten
Regie Abdellatif Kechiche
Hauptdarsteller Léa Seydoux, Adèle Exarchopoulos, Salim Kechiouche
Bewertung

Worum geht’s?

In der Clique von Adèle gibt es nur ein Thema: Sex. Sie geht in die elfte Klasse, begeistert sich für Literatur und bandelt dann, angetrieben von ihren Freundinnen, mit dem etwas älteren Thomas an. Sie werden ein Paar, doch ohne diesen Schritt richtig begründen zu können, beendet Adèle die Beziehung wieder. Sie hat den Verdacht, lesbisch zu sein. Zum einen fühlt sie sich zu einer Mitschülerin hingezogen, zum anderen ist sie auf der Straße einem Mädchen mit blauen Haaren begegnet, das ihr nicht mehr aus dem Kopf geht. Als sie sich wiedersehen und ins Gespräch kommen, wird daraus wirklich mehr: Die Kunststudentin Emma nimmt die Avancen von Adèle zwar zunächst nicht allzu ernst. Schließlich kommen sie aber doch zusammen und bleiben über Jahre ein Paar. Während Emma stolz auf ihre junge Freundin ist und ihre ersten Erfolge als Malerin feiert, will Adèle die Beziehung nicht öffentlich machen. Nicht nur deshalb droht der leidenschaftlichen Zweisamkeit bald ein dramatisches Ende.

Das sagt shitesite:

Für Aufsehen hat Blau ist eine warme Farbe vor allem aus drei Gründen gesorgt: Erstens wegen der sehr expliziten Darstellungen von lesbischem Sex, zweitens wegen der Vorwürfe, die beide Hauptdarstellerinnen hinsichtlich der Arbeitsweise von Regisseur Abdellatif Kechiche vorbrachten, drittens wegen der Goldenen Palme, die der Film 2013 bei den Festspielen von Cannes gewann, ironischerweise ausnahmsweise zu gleichen Teilen vergeben an den Regisseur und die beiden Schauspielerinnen.

Keine dieser Schlagzeilen passt so wirklich zum Charakter dieses Films. Natürlich entsteht ein großer Teil des Konflikts und der Fallhöhe aus der Tatsache, dass es hier um gleichgeschlechtliche Liebe geht, zu der sich Adèle allenfalls halbherzig bekennen will. Wenn sie mit ihren Schulkameradinnen und ihrer Familie spricht, wenn sie mit den kultivierten Freunden und Bekannten von Emma feiert und auch, wenn sie einfach mit ihrer Freundin zu zweit ist, bleibt bei ihr immer ein Rest Zurückhaltung und Verwirrung. Nur, wenn sie Sex mit Emma hat, verschwindet dieses Gefühl – was zugleich zum Beleg wird für die Stärke und Unbedingtheit der Anziehungskraft, die sie spürt. Davon abgesehen ist Blau ist eine warme Farbe aber einfach ein Film über Leidenschaft, Vertrauen und Hingabe, völlig unabhängig von Kategorien wie homo/hetero.

Auch der ausschließlich Fokus auf die (zweifelsohne herausragenden) Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen wäre bei der Bewertung dieses Films falsch. Denn Blau ist eine warme Farbe besticht auch mit einem sehr gekonnten Plot – als Coming-of-Age-Drama, das ebenfalls ein hohes Maß an Universalität für sich beanspruchen kann. Wie Adèle, zu Beginn der erzählten Zeit noch eine Teenagerin, während der Lektüre von Mairvaux‘ Das Leben der Marianne beginnt, über ihre Sexualität nachzudenken, wie sie in der Schule, ebenso wie ihre Altersgenossen, jeden Tag vor der Aufgabe steht, das Coolsein inmitten der Unsicherheit zu inszenieren, wie die Clique schließlich zur Inquisition wird, als sie erst mit Thomas und dann mit Emma anbandelt: All das ist sehr gekonnt beobachtet und sehr feinfühlig erzählt.

Gleiches gilt für die Phase, in der Emma und Adèle zusammenziehen und über Jahre eine quasi bürgerliche Zweisamkeit pflegen. Die Reibung zwischen der Konsequenz und Prinzipientreue der Künstlerin und dem aus Unsicherheit gespeisten Pragmatismus der Frau, die zu ihrer Muse wird, würde jedem Ehedrama zur Ehre gereichen. Erst recht gilt das für die enorm intensiven Szenen, als es zum Krach zwischen ihnen kommt und Adèle schließlich nach der Trennung versucht, Emma wieder für sich zu gewinnen oder in irgendeiner Form in ihrem Leben halten zu können. In ihrer Emotionalität sind insbesondere der Moment, als Adèle rausgeworfen wird, und das von ihr arrangierte Wiedersehen in einem Restaurant weitaus schockierender und intimer als die viel diskutierten Sexszenen. Auch das zeigt: Blau ist eine warme Farbe ist letztlich ein Liebesfilm, und zwar ein sehr besonderer.

Bestes Zitat:

„Das ist die Qualität der Lust. Sie ist so vollkommen verschieden, dass man nie zweimal in derselben Möglichkeit ankommt.“

Der Trailer zum Film.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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