Blond – „Martini Sprite“

Künstler Blond

Blond Martini Sprite Review Kritik
Biestig und eigenständig zeigen sich Blond auf ihrem Debütalbum.
Album Martini Sprite
Label Rough Trade
Erscheinungsjahr 2020
Bewertung

„Musik ist unser Leben“, lautet der Schwur von Blond gleich im Intro ihres übermorgen erscheinenden Debütalbums, die letzten Worte darin sind dann „Viel Spaß!“ Zwei der wichtigsten Elemente für die Musik des Trios aus Chemnitz sind damit schon benannt: Erstens die maximale Überzeugung, hier die richtige Ausdrucksform gefunden zu haben, gepaart mit einem erstaunlich großen popkulturellen Horizont. Zweitens das Ziel, dabei niemals, niemals, niemals Langeweile aufkommen zu lassen.

Der (absichtlich) chaotische Sprechgesang in diesem Intro und der begleitende 808-Beat könnte einen glauben lassen, man habe hier die legitimen Erben von Tic Tac Toe vor sich. Auch an anderen Stellen von Martini Sprite finden sich immer wieder Referenzen und Einflüsse, für die Lotta Kummer, Nina Kummer und Johann Bonitz eigentlich viel zu jung sind. Das tut der Autonomie und Frische dieser Platte aber keinerlei Abbruch. Man hört bei Blond noch einen Hauch von Kinderzimmer, vor allem aber den Willen, sich zur Welt da draußen positionieren zu wollen – vor allem zu all den Dingen, die dort scheiße laufen.

Nah bei dir nimmt die Perspektive eines Stalkers ein, angereichert um ein interessantes Gitarrenriff, ein Münchner-Freiheit-Zitat und einen spektakulären Schlussteil. In Thorsten bekommen Chauvinismus im Allgemeinen und Mansplaining im Besonderen ihr Fett weg, zu einem Sound, der mit „heavy“ noch vorsichtig umschrieben ist. Kälberregen ist ähnlich plakativ im Arrangement, aber abgründig im Inhalt rund um die Quintessenz: „Mein Unterbewusstsein ist ‘ne kranke Sau.“

Match blickt auf das von Tinder, Parship & Co. verkaufte Versprechen, Töpfchen und Deckelchen seien nur eine Frage des algorithmisch funktionierenden Profilabgleichs. Weil das für die Erzählerin bisher nie zum Erfolg führte, rätselt sie zunächst, ob ihre Ansprüche zu hoch oder ihre Hormone defekt sind, um dann zur alles entscheidenden Frage vorzudringen: Sind Verlieben und Zweisamkeit vielleicht gar nicht so wichtig, wenn man sich selbst genug ist? Sie erzählt von einer spezifisch weiblichen Angst, die davon genährt wird, dass Männer eben sehr oft gewalttätig gegen Frauen sind, damit wird das Lied eine Schwester im Geiste etwa von Courtney Barnetts Nameless, Faceless. Noch deutlicher wird der feministische Geist von Blond in Es könnte grad nicht schöner sein. Das Stück berichtet davon, wie Regelschmerzen die Stimmung und vor allem schöne Momente im Leben versauen können. Menstruation als Songthema – das lässt dann doch beträchtlich aufhorchen. Ich kenne zwar PMS-Lieder beispielsweise von Dolly Parton oder Mary J. Blige, aber nicht einmal eine so radikale Künstlerin wie Peaches hat (meines Wissens) bisher einen Song über die Periode gemacht.

Las Vegas Glamour stellt sehr schlau Ideal und Realität das Rock’N’Roll-Lifestyles gegenüber, wohl nicht zuletzt gespeist aus den Erfahrungen, die Blond auf gemeinsamen Tourneen mit Kraftklub, Zugezogen Maskulin und Von Wegen Lisbeth machen durften. Autogen feiert Disco und Funk (ohnehin ist Martini Sprite ein Eldorado für Fans von kreativen Bassläufen) sowie die Hinweise, dass Relaxen nicht auf Befehl funktioniert und dass Action wohl ohnehin wünschenswerter ist als Entspannung. Hit träumt von Glamour und Jetset, aber nach den eigenen Gesetzen, deren erster Paragraph lautet: Du musst stets selbstironisch sein. Sanifair Millionär ahmt stilecht G-Funk oder R&B im Stile von TLC nach, bleibt im Kern aber etwas halbgar. Ein Outro schließt das von Philipp Hoppen, Nico Lindner und Karl Schumann in Chemnitz und Brandenburg produzierte Album mit ebenso authentischer Hardrock-Ästhetik ab.

Manchmal steht auf Martini Sprite die Coolness der Zugänglichkeit im Weg. Nach den ersten Singles von Blond (in ihren Anfangstagen sangen sie noch auf Englisch) hätte man ein bisschen mehr Leichtigkeit und etwas weniger Biestigkeit erwartet. Aber bei näherer Betrachtung erweist sich das als einzig vernünftiger Weg für dieses Trio. Aus dem Schicksal/Privileg „Die kleinen Schwestern von…“ zu sein, haben sie das Beste gemacht: Sie profitieren von Tipps und Erfahrungen, sie haben erst recht Grund, an die Idee von „Band aus Chemnitz kann es ganz nach oben schaffen“ zu glauben. Aber sie wissen sehr genau, dass es nicht reichen wird, allein auf das Wandeln in diesen Fußstapfen zu vertrauen – und sie wissen vor allem, dass alle Welt versuchen wird, sie auf das „Die kleinen Schwestern von…“-Label zu reduzieren, und dass sie deshalb maximale Eigenständigkeit brauchen. Das hat sehr gut geklappt.

Ein bisschen Splatter gibt es im Video zu Es könnte grad nicht schöner sein.

Website von Blond.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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