Künstler | Blood Red Shoes | |
Album | Get Tragic | |
Label | Jazz Life | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
97,3 Prozent. Das ist der Anteil der Tage pro Jahr, die Laura Mary-Carter und Steven Ansell in den vergangenen Jahren zusammen als Blood Red Shoes verbracht haben. Kein Wunder, dass es da irgendwann zu Spannungen kommen musste. „Es gab keinen einzigen Moment, in dem wir hätten durchatmen können. Pro Jahr gab es maximal zehn Tage, an denen wir uns nicht gesehen haben, und das für sechs, sieben Jahre am Stück“, sagt Steven Ansell, der beim Duo aus Brighton für Schlagzeug und Gesang zuständig ist. „Als die vierte Platte dann fertig war, hatten wir beide das Gefühl: Fuck, ich will dich nie wieder sehen.“
Dass mit Get Tragic übermorgen nun doch ein fünftes Studioalbum von Blood Red Shoes erscheinen wird, ist vor allem einer Neubesinnung zu verdanken. Erstens hat sich die Band nach dem 2014 veröffentlichten Vorgänger ein wenig mehr Zeit (inklusive Auszeit) gelassen. Zweitens haben sie neu definiert, wofür diese Band steht. Die neue Platte bietet mehr Melodien, mehr Synthesizer und mehr Spielraum für das Duo. Das bedeutet auch: weniger Rock.
Eye To Eye eröffnet die Platte, und das ist keine zufällige Wahl. „Es war der erste Song, bei dem wir eine neue Dynamik spürten und bei dem die Dinge sich fügten, als wir am neuen Album arbeiteten“, sagt Steven Ansell. „Wir haben in einer Garage in L.A. mit Synthesizern und Loops experimentiert statt mit Gitarrenriffs. Es hatte mit einem Jam angefangen, den wir dann zerhackt, zerschnitten, verlangsamt, geloopt und dann noch ein bisschen mehr zerhackt haben. Danach haben wir das Schicht für Schicht wieder zusammengesetzt und dabei ein bisschen Elektronik und den Gesang hinzugefügt“, erklärt er die Entstehungsweise. Das Ergebnis ist durchaus typisch für Get Tragic: Der synthetische Sound der ersten Strophe verweist auf Garbage, auch danach bleibt diese Parallele erhalten, im etwas unterkühlten Gesang von Laura-Mary Carter ebenso wie in den mit reichlich Effekten verzierten Gitarren.
Die tatsächlichen Aufnahmen fanden dann ebenfalls in Los Angeles statt, und zwar mit Produzent Nick Launay (Yeah Yeah Yeahs, Arcade Fire, Nick Cave & The Bad Seeds). Gleich bis nach Malaysia reicht indes der Horizont in Bangsar, einem von drei Liedern des Albums, bei denen Ansell den Hauptteil des Gesangs übernimmt. Die von ihm nachgezeichnete Suche nach der letzten Bar im gleichnamigen Vorort von Kuala Lumpur nimmt kein gutes Ende, der Refrain könnte überraschenderweise aus New-Rave stammen.
In Find My Own Remorse klingt Ansell verdammt nach Julian Casablancas, bloß dass der schon sehr lange nicht mehr so schöne Melodien und so gute Ideen zum Singen gehabt hat. Bei Anxiety verwandelt alleine die Strophe gleich mehrfach ihre Gestalt, von prototypischem Hardrock, wie man ihn bisher von dieser Band kannte, über Hyperspace-Riffs à la Muse bis zu einer heimtückischen Eleganz wie etwa bei den Last Shadow Puppets. Es dürfte wenige Lieder im Repertoire der Blood Red Shoes geben, in denen so viele ihrer Einflüsse integriert waren.
Der Eindruck neuer Vielfalt bestätigt sich auch in den Tracks, bei denen Gitarristin Laura-Mary Carter am Mikro steht. Beverly hat eine coole Atmosphäre wie ein Krimi aus den 1950er Jahren, mit Männern, die Kette rauchen, und Frauen, die finstere Pläne schmieden. Elijah beschließt die Platte gleichermaßen verspielt, bedrohlich und niedlich. Nearer ist im Ergebnis nicht ganz überzeugend, aber im Ansatz sehr exemplarisch für Get Tragic: Hier ist das ursprüngliche Blood-Red-Shoes-Konzept nicht nur erweitert, sondern auf den Kopf gestellt. Auch wenn die Band auf Albumlänge etwas an Unmittelbarkeit verloren hat, zeigt ein Lied wie Vertigo dennoch: Wenn sie wollen, können sie noch eine Urgewalt sein.
Mexican Dress wird vor allem durch die Percussions so lebendig und lustvoll. Der Song zeigt am besten, wie sie alte Stärken und neue Facetten zu einem spannenden Resultat zusammenführen. Howl profitiert ebenfalls von einem sehr guten Groove und hat Biss auch in den zahlreichen Passagen, in denen keine Gitarre zu hören ist. Das ist wieder eine sehr gelungene Symbiose und zeigt: Get Tragic wird die bisherigen Fans auf beglückende Weise überraschen und eindeutig auch neue für Blood Red Shoes begeistern.
Eines der Highlights: das Video zu Mexican Dress.
Zwei Clubkonzerte spielen Blood Red Shoes im Februar 2019:
04.02.2019 – Molotow (Hamburg) – ausverkauft
05.02.2019 – Privatclub (Berlin) – ausverkauft