Künstler | Bon Iver | |
Album | i, i | |
Label | Jagjaguwar | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Es würde zum vierten Album von Bon Iver passen, wenn es mit einer riesigen, geheimnisvollen Kampagne das Licht der Welt erblickt hätte. Es gibt auf i, i schließlich kryptische Songtitel und verschwurbelte Aussagen von Mastermind Justin Vernon wie diese: „Der Albumtitel kann alles bedeuten, was du willst. Er kann bedeuten, die eigene Identität zu entschlüsseln und zu stärken. Oder herausstellen, wie wichtig das Selbst ist und wie unwichtig das Selbst ist, wie wir alle miteinander verbunden sind.“
Stattdessen ist das Album, das digital schon erhältlich ist und Ende des Monats auch als physischer Tonträger verfügbar sein wird, ziemlich unscheinbar gestartet: Es gab kleine Listening-Partys in Plattenläden. Hört man sich die 13 Songs der Platte an, wird dieses Format sofort schlüssig: i, i ist ein Werk von Musikern für Musikliebhaber – es ist nicht auf spontane Begeisterung und schnelle Befriedigung aus, sondern will sich langsam entfalten und auch beim sechsten und siebten Durchlauf noch Überraschungen offenbaren. Von der schlichten, fast naiven Anmutung aus der Anfangszeit von Bon Iver ist nichts geblieben, es regiert stattdessen die Dekonstruktion. Die ersten vier Stücke schwanken zwischen experimentell und abstrakt, Groove und Jazz, verfremdeten Stimmen und Quasi-Drone.
Mit „I waited outside“, den ersten Wörtern in Hey, Ma wird die Platte dann etwas konkreter und zugänglicher. Es ist das erste Beispiel dafür, dass i, i auch eingängig sein kann. In U (Man Like) ist das Klavier erstaunlich klar, der Gesang braucht ebenfalls keine Effekte, das Ergebnis wird beinahe eine normale Soul-Ballade. Das hübsche Faith ist akustisch geprägt und am Ende kraftvoll. Naeem ist das beste Lied der Platte, entwickelt fast nur mit Klavier und Gesang viel Grazie in der Nähe von James Blake, der tatsächlich einer der zahlreichen Gäste der Platte ist. Bei den Aufnahmen, die größtenteils in der Sonic Ranch in West Texas erfolgten, waren außerdem Brad und Phil Cook, Aaron und Bryce Dessner (The National), Bruce Hornsby, Channy Leaneagh (Polica), Naeem, Velvet Negroni, Marta Salogni, Francis Starlite, Moses Sumney, TU Dance sowie weitere dabei. Zur 2019er Inkarnation von Bon Iver gehörten zudem Sean Carey, Andrew Fitzpatrick, Mike Lewis, Matt McCaughan, Rob Moose und Jenn Wasner (Wye Oak).
Auch diese Vielzahl von Mitstreitern stützt die These, dass man hier ein Musiker-Album vor sich hat. „Es fühlt sich wie meine erwachsenste Platte an, meine vollständigste“, sagt Justin Vernon. „Wahrscheinlich ist es so: Wenn du so viel im Leben hinter dir hast, wenn die Sonne langsam untergeht, dann erkennst du, dass du eine neue Perspektive gewonnen hast. Und die kannst du dann nutzen, um sie in eine ehrlichere, großzügigere Musik einfließen zu lassen.“
Mit „großzügig“ ist dabei auch eine enorme stilistische Freiheit gemeint: Auf Jelmore scheinen Gesang und Instrumente in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu stehen, Salem wird auch durch das vergleichsweise komplexe Arrangement interessant, ein Saxofon erobert im Verlauf von Sh’diah die Vorherrschaft, Marion wirkt wie eine Skizze, der Gesang zur akustischen Gitarre wirkt bloß geträumt, am Ende erklingen dezente Bläser. Den Abschluss von i, i macht Rabi, und einen passenderen Schlusspunkt hätten Bon Iver nicht finden können: Es klingt wie eine Zusammenfassung aller Ideen des Albums.