Bonaparte – „Was mir passiert“

Künstler Bonaparte

Bonaparte Was mir passiert Review Kritik
An der Elfenbeinküste ist „Was mir passiert“ entstanden.
Album Was mir passiert
Label Columbia
Erscheinungsjahr 2019
Bewertung

„Einfach hinaus in die Steppe / und es würd nicht mehr so leer sein in mir drin“, singt Tobias Jundt ungefähr in der Mitte dieses Albums. Das Zitat fasst sehr schön den Ansatz zusammen, den er für das sechste Studioalbum von Bonaparte gewählt hat. Und es zeigt die beinahe vollkommende Leichtigkeit, zu der der einstige „Partykaiser“ mittlerweile in der Lage ist. Chateau Lafite heißt der Song dazu, und die Botschaft lautet wohl: Auch wenn ein Wein einen so berühmten Namen hat, weiß man erst wie er schmeckt, wenn man ihn gekostet hat.

Das eingangs erwähnte „hinaus“ führte den gebürtigen Schweizer nach Afrika, genauer gesagt: nach Abidjan an der Elfenbeinküste. Ein Freund hatte ihm von der Atmosphäre dieser Stadt vorgeschwärmt, die mit 4,7 Millionen Einwohnern so groß ist wie Berlin und Köln zusammengenommen. „Ich bin in den Flieger gestiegen nach Abidjan und hatte erstmal überhaupt keine Ahnung, wie es da werden würde“, sagt Jundt. Schnell fand er allerdings Gefallen am Trubel dort und kehrte immer wieder zurück. Mit jedem Besuch wuchs sein Netzwerk aus lokalen Musikern, ebenso wie seine Begeisterung für ihre Fähigkeiten und Arbeitsweise. „Zeit funktioniert anders, Zusammenspiel funktioniert anders“, lautet eine seiner Erkenntnisse über die wichtigsten Unterschiede zu seinen bisherigen Routinen.

In Abidjan wurde Was mir passiert denn auch aufgenommen und produziert, mit vielen Einflüssen aus Kongo, Nigeria, Kamerun, Senegal oder Äthiopien und gewichtigen Beiträgen beispielsweise von Gitarrist Jean Claude „JC Guitare“ Emanuel Bidy oder Tanoh Adjobi „Panda“ Saint Pierre. Der Rapper ist im Album-Opener Warten nicht nur der Stargast, sondern der Star. Der Beat und der fast komplett digitale Sound des Stücks könnten aus einer alten Bonaparte-Inkarnation stammen, aber nicht die Attitüde: Jundt zeigt sich hier verletzlich, versehrt, müde, passiv. Bop de Narr ist das Gegenstück dazu: lebendig, hyperaktiv, einfallsreich.

Was mir passiert hat noch etliche weitere prominente Namen zu bieten. Bei Big Data wirken Farin Urlaub und Bela B. mit. Es geht darin um zunehmende Überwachung, die unseren zunehmenden Hang zur Selbstinszenierung ausnutzt. An der Macht des Digitalen hat sich Jundt ja schon früher abgearbeitet, etwa bei Computer In Love. Dass er keineswegs ein Technikfeind ist, zeigt indes der Sound der Platte, der viele Zutaten aus dem Rechner enthält.

Auch bei der sehr turbulenten Session mit Fatoumata Diawara kam ihm die Technik zu Hilfe: Als sich die seltene Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit der mehrfach Grammy-nominierten Sängerin aus Mali ergab, aber kein Studio frei war, nahm er ihre Musik kurzerhand via USB-Device in einer Abstellkammer auf. Sophie Hunger wird zur Duettpartnerin in Dene Wos Guet Geit, komponiert vom Schweizer Liedermacher Mani Matter. Ironischerweise klingt ausgerechnet diese Coverversion von allen 15 Stücken auf Was mir passiert am meisten nach Afrika.

Für den besten Gastauftritt sorgt der Rumba-Sänger Tosha Kitona, der den Background zu Neues Leben beisteuert. Seine Stimme verleiht dem Song eine sehr besondere Note, zugleich kann man das Lied als programmatisch für das neue Lebensgefühl bei Bonaparte betrachten. Jundt blickt darin aufs Jahr 2009 zurück und klingt zärtlich, innig, intim –das ist eine völlig neue Klangfarbe in seinem Schaffen. Es geht um die Entscheidung, eine Familie zu gründen, der Titel bezieht sich dabei auf den Akt der Zeugung, aber natürlich auch auf seinen Entschluss, das nächste Kapitel in seiner eigenen Biographie zu beginnen.

Weinbar hat einen ähnlichen Charakter, darin werden Gender-Konstrukte rund um die Frage „Wann hast du das letzte Mal geweint?“ auf den Prüfstand gestellt. Die zweite Strophe hat Sybille Berg geschrieben, im SMS-Dialog mit Jundt. Als er am Ende bei dem Bekenntnis ankommt „Ich weine nicht, weil ich weinen muss / Ich weine, weil ich kann“, hat er ein Ausmaß an Ernsthaftigkeit und Tiefe erreicht, wie man es zuvor kaum bei Bonaparte gefunden hat.

Es geht auf Was mir passiert um Spontaneität statt Kalkül, Anekdoten statt Plot, Gleiten statt Navigieren, Zufall statt Konzept, Gelassenheit statt Fatalismus. Jaja bringt diesen Entschluss zur Gelassenheit in eine beinahe philosophische Form, gespeist aus der Erkenntnis „Es gibt gar keine Antwort auf alle meine Fragen.“ Das Lied vom Tod reflektiert das Wesen von Musik; die Sehnsucht, die man in sie packen kann, und die Grenzen, die sie hat. Auch Apotheker Apotheker zeigt den neuen Bonaparte: Es geht beim Hilfegesuch an den Medikamenten-Lieferanten nicht um den Rausch, sondern um Therapie von Symptomen, die das Wohlbefinden beeinträchtigen. Jundt will sich nicht zudröhnen, sondern Normalität.

Dass er diesmal fast ausschließlich auf Deutsch singt, darf man vielleicht ebenfalls als ein Indiz für Angekommensein interpretieren, ebenso wie als Aufbruch in eine neue künstlerische Identität. „Ich musste auf Deutsch wieder einen neuen Bonaparte erfinden. Mit einer neuen Sprache“, betont Jundt. Es gibt nur einen Moment auf der neuen Platte, in dem das nicht gelingt: Das hektische und grelle Ich koche scheitert beim Versuch, die sich immer weiter verbreitende Idee lächerlich zu machen, über Essen und seine Zubereitung seinen Selbstwert zu definieren – und darin auch noch eine sexuelle Konnotation zu integrieren.

Davon abgesehen, gibt es praktisch keinen Moment, in dem man sich die Zeiten zurückwünschen würde, in denen mit „Bonaparte“ ein Multikulti-Kollektiv gemeint war, in dem Jundt lediglich das sichtbarste Mitglied der Truppe war, nicht das einzige. Die Musik ist auch ohne diese Zirkus-Komponente stimmig und überzeugend. Der Titelsong hinterfragt die Romantisierung Afrikas und zeigt zugleich, wie der Name des Albums gemeint ist: „Ich will nur noch das, was mir passiert / aber das will ich wirklich.“ Und mich beweist, dass man Chansons auch mit Computerbeat machen kann. Ins Herz geschlafen blickt auf eine Beziehung, in der zuerst nur Begehren war, aus dem dann plötzlich Gefühle wurden. Man hört Jundt die Fassungslosigkeit über dieses „Du hast dich in mein Herz geschlafen“ an, aber auch die Freude.

Is Ok (Lieben for Life) schließt die Platte ab. Das „featuring“ bekommen hier Ruby und Hazel, und man darf wohl davon ausgehen, dass mit diesen Gastsängerinnen seine beiden Töchter gemeint sind, legt man ihre kindlichen Stimmen zugrunde. Auch hier kommt noch einmal wundervoll das Gefühl rüber, das für das Fundament dieser Platte noch viel entscheidender ist als die Eindrücke aus Afrika: Solch eine Liebe gefunden zu haben, ist ein riesiges Privileg und lässt leicht ertragen, dass man ein paar andere Lebensziele nicht erreicht hat. Alles gut, solange wir zusammen sind.

Das Lied vom Tod spielt ebenfalls in Abidjan.

Homepage von Bonaparte.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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