Künstler | Bonnie „Prince“ Billy | |
Album | I Have Made A Place | |
Label | Domino | |
Erscheinungsjahr | 2019 | |
Bewertung |
Ein Foto ist vielleicht der wichtigste Ausgangspunkt für I Have Made A Place, das erste Album von Bonnie “Prince” Billy mit komplett neuen Songs seit dem 2011 veröffentlichten Wolfroy Goes To Town. Auf diesem Bild sitzt die Mutter der Künstlers, die in Pearl Harbour geboren wurde, auf den Schultern ihres Vaters und schaut genau in die Richtung, in die auch das Objektiv der Kamera gerichtet ist. Es bekam eine besondere Bedeutung, als Bonnie “Prince” Billy kürzlich als Tourist nach Pearl Harbour kam und das Foto seiner Reiseleiterin zeigte. Sie brach daraufhin in Tränen aus und erklärte dem Sänger die Bedeutung der darauf zu findenden Pose für Hawaiianer: Nicht in die Kamera zu blicken, sondern sich von ihr abzuwenden, symbolisiere die Idee, dass man der Zukunft nicht entgegenblicken kann und stattdessen unsere Vergangenheit vor uns liegt.
Bonnie “Prince” Billy machte daraus das Lied Look Backward On Your Future, Look Forward To Your Past, einen der intimsten Momente der neuen Platte. Auch an vielen anderen Stellen ist I Have Made A Place von Hawaii inspiriert (Anfang 2018 waren Will Oldham, so sein bürgerlicher Name, und seine damals schwangere Frau als Artist in Residence in den „Hawaii Volcanoes National Park” eingeladen; als Arbeitstitel für das Album war 49th State Of Mind im Gespräch, als Reminiszenz an eine legendäre hawaiianische Plattenfirma). Der eingangs erwähnte zyklische Blick auf die Zeit wird auch in anderen Liedern deutlich. Die Zeile über das „sweet memory of what is to come“ in You Know The One verweist ebenfalls auf diese Umkehr von Vergangenheit und Zukunft, die ersten Zeilen im sehr wehmütigen Nothing Is Busted lauten: „She didn’t look forward / she didn’t look back.“
Ein ähnlicher Dualismus findet sich auch anderer Stelle von I Have Made A Place. „Die Platte ist in zwei Teile gebrochen“, sagt Bonnie „Prince“ Billy. „Die erste Hälfte ist groß und fröhlich und dicht, die zweite ist offen, skeptisch und auf eine glückliche Weise traurig. Sie nimmt die Auswüchse der westlichen Zivilisation in den Blick, indem sie das Verschlungene und Wundersame von all dem erhellt, das in modernen, populistischen Denkweisen übersehen wird. Es geht eher um das ‚Einen Schritt zurück‘ als um das ‚Zwei Schritte nach vorn.‘ Es geht um die Schätze der nicht verbrachten Vergangenheit, die nicht einmal Vergangenheit ist.“ Das alles habe er mit eingängigen, kraftvollen Melodien und den Einflüssen anderer, oft hawaiianischer Musiker, verbinden wollen.
Den Willen zum Positiven kann man etwa in The Devil’s Throat heraushören. „A bad captain won’t give out good orders“, heißt die erste Zeile des Lieds. Und während man noch rätselt, ob das vielleicht ein Seitenhieb auf Donald Trump sein könnte, wird klar, dass der Song viel zu gelassen und zuversichtlich für diese Interpretation ist. New Memory Box gerät mit Banjo und schmissigen Drums ausnehmend ausgelassen und beschwingt. Die Kraft von Squid Eye erwächst aus der vergleichsweise üppigen Instrumentierung, das ebenfalls recht aufwendig arrangierte The Glow Pt. 3 ist so etwas wie das Gegenstück dazu, denn es nutzt ähnliche Mittel, offenbart aber trotzdem eine große Zerbrechlichkeit.
Ein weiteres wichtiges Leitmotiv ist die Verunsicherung ob des rasanten Wandels, nicht zuletzt in Oldhams eigenem Metier. In den acht Jahren seit dem Vorgänger hat er in vielen anderen Projekten gearbeitet und zugleich festgestellt: „In den vergangenen Jahren sind fast alle Aspekte der Musikwelt geradezu pulverisiert worden – die Art, wie wir sie erdenken, empfangen, aufnehmen, veröffentlichen und verbreiten. Ich habe versucht, die Luft anzuhalten und zu warten, bis der Sturm vorüber ist. Aber der Sturm zieht nicht vorbei, und die Zerstörung, die er hinterlassen hat, ist jetzt unsere neue Welt. Aber was soll ein Mensch machen, außer dem, was er kennt und fühlt? Für mich ist das nun einmal: Platten machen, die für ein intimes Hörerlebnis gedacht sind, für wundervolle Fremde, die spirituell und musikalisch etwas teilen“, sagt der 48-Jährige. Dieser Ansatz sei mittlerweile wohl so gestrig, dass er nicht daran geglaubt habe, die Lieder jemals aufnehmen oder veröffentlichen zu können, die sich nun auf I Have Made A Place finden, gesteht er.
Vielleicht deshalb lebt das zarte Dream Awhile, mit sehr schönem Hintergrundgesang von Joan Shelley, vom Versprechen, dass sich Probleme wegträumen lassen. This Is Far From Over hat am Ende ebenfalls eine hübsche Flötenmelodie und braucht ansonsten nur Gitarre und Gesang für eine Zwischenbilanz zur Halbzeit des Lebens, die nicht blauäugig und beschönigend wird, aber optimistisch. Im ähnlich weisen Thick Air haben die von Jacob Duncan beigesteuerten Bläser die prominenteste Rolle, Mama Mama erzählt vom gegenseitigen Beistand, bei kleinen Sorgen und in existenzieller Not.
Der Titelsong I Have Made A Place ist nahe an einer Beschwörung. Wie viele Lieder auf dieser Platte klingt er luftig und organisch (während der Aufnahmen gab es große Freiheiten für die beteiligten Musiker), macht aber zugleich deutlich, dass man diese Attribute nicht mit einem Mangel an Tiefe gleichsetzen sollte. Der Schlusspunkt Building A Fire ist der ultimative Beweis dafür. Hier klingt Bonnie „Prince“ Billy so, wie er in seinen meisterhaften Momenten immer klingt: geheimnisvoll, klassisch und trotzdem einzigartig.