Künstler | Bosse | |
Album | Alles ist jetzt | |
Label | Vertigo | |
Erscheinungsjahr | 2018 | |
Bewertung |
Am Strand, vor einem Wohnwagen, im Park, vor einer Gartenlaube, auf einem Liegestuhl, vor einem Wasserfall. Das sind einige der Situationen, in denen Axel Bosse auf den Fotos im Booklet zu Alles ist jetzt zu sehen ist. Sein heute erscheinendes siebtes Album zeigt: Er ist entspannt, er genießt das Leben. Er ist angekommen. Das gilt für seine Karriere (mit dem Vorgänger Engtanz erreichte er erstmals die Spitze der deutschen Charts, zu den dazugehörigen Konzerten kamen mehr als 100.000 Menschen, auch die meisten Termine der aktuellen Tour sind schon wieder ausverkauft), aber auch privat und künstlerisch: Gemeinsam mit den Produzenten Jochen Naaf (Polarkreis 18, Peter Licht) und Tobi Kuhn (Die Toten Hosen, Milky Chance) geht es Bosse auf Alles ist jetzt offensichtlich vor allem um eine Verfeinerung seines Stils. Er hat seine Stärken erkannt und konzentriert sich jetzt darauf.
Seine Themen sind Liebe, Freunde und, mehr denn je, die Familie. „Eigentlich wollte ich diesmal ein Familienalbum machen“, erzählt Bosse über die neue Platte, aber dann habe er das Gefühl gehabt, das sei „zu eindimensional“, schließlich habe es auch genug aktuelle Themen gegeben, die sich ihm aufdrängten. Inhaltlich sehr rund wird Alles ist jetzt dennoch. Das liegt vor allem am wichtigsten Effekt der Lieder von Bosse: Es geht ihm um das Herausstellen von Katharsis und Selbsterkenntnis, durchaus auch um Anleitung, wie diese gelingen können. Fast in jedem Lied lässt sich eine Komponente von Vorher-Nachher, Früher-Heute oder Altes Ich-Neues Ich erkennen. Das wichtigste Wort auf diesem Album lautet deshalb: aber. Fasst man die Themen der zwölf Songs zusammen, lassen sie sich alle auf einen Satz mit „aber“ zurückführen:
Alles ist jetzt: Manchmal nervt die Welt, aber wenn du einfach den Moment lebst, dann wird das schon.
Hallo Hometown: Früher fand ich es hier manchmal schlimm, aber jetzt ist es schön, ein Zuhause voller Erinnerungen zu haben.
Augen zu Musik an: Manchmal ist das Leben schon von sich aus echt schön – aber mit Musik fühlt es sich auf jeden Fall noch besser an.
Robert de Niro: Man fühlt sich ab und zu wie im falschen Film, aber das geht uns allen so.
Wanderer: Ich wusste früher auch nicht, wo ich hin soll im Leben, aber jetzt habe ich in dir mein Ziel gefunden.
Ich warte auf dich: Es gibt Tristesse, Routine und Probleme, es gibt aber auch diese eine Person für jeden von uns, die das alles im Handumdrehen in Glück und Abenteuer verwandeln kann.
Die Befreiung: Es gibt viele Gründe für Trübsal und Zweifel, aber mindestens genauso viel Anlass für Freude und Leichtigkeit.
Indianer: Du bist zwar ein ziemlicher Idiot geworden, aber du bist immer noch mein Bruder und deshalb liebe ich dich.
Pjöngjang: Du sollst zwar vor mir beschützt werden, aber das hält meine Zuneigung zu dir nicht auf.
Overkill: Es ist leicht, im Stress zu ertrinken, aber es gibt genug Gelegenheiten, die zum Rettungsring, sogar zu einer Insel werden können, wenn man sie nur finden will.
Süchtig: So viel Glück, wie ich es mit dir erlebe, habe ich gar nicht verdient, aber wenigstens ist mir das klar.
Ich bereue nichts: Es ist zwar auch Scheiße passiert, aber alles in allem war mein Leben bis jetzt eine feine Sache.
Das wirkt nicht nur bei dieser etwas vereinfachenden Zusammenfassung, als könne Bosse als Erfinder des Konzepts von Achtsamkeit gelten. Der wichtigste Effekt seiner Lieder ist, wie auch schon auf früheren Werken, Trost und Erbauung. Das ist auch gar nicht verwerflich, zumal diese Unterstützung auch hier wieder klug, sympathisch und uneitel erfolgt. Das Problem von Alles ist jetzt ist vielmehr: Es fehlen die Verzweiflung und das Aufgewühlte, das diesem Trost vorangehen müsste. Fast nie ist Bosse hier in einer Position des Defizits, sondern fast immer auf einer Wolke der Gelassenheit. Deshalb wirkt auf Alles ist jetzt auch sein Gesang insgesamt etwas zu gemütlich, vielleicht als Folge dieser neuen Zufriedenheit. Alles auf dieser Platte ist schön und angenehm, aber man würde sich, vor allem bei mehrmaligem Hören, dann doch irgendwann einen Ausbruch oder auch Zusammenbruch wünschen.
Dazu passt, dass Bosse hier unverkennbar viel Augenmerk auf Stimmung gelegt hat, aber wenig auf Dynamik. Musikalisch ist Alles ist jetzt etwas unspektakulär – nicht im Sinne von ereignisarm, aber in der Hinsicht, dass die durchaus vorhandenen mutigen Elemente oft sehr dezent im Hintergrund bleiben und sich in das große Ganze einfügen. Die neuen Lieder können funky sein, beschwingt und verspielt, geschickt setzt Bosse auf Chöre (dabei singen unter anderem Sebastian Madsen und Lisa Who, ebenfalls aus dem Madsen-Universum, mit) und Gäste (wie Sven Jatzko von Deichkind). Aber wirkliche Spannung kommt auch dadurch kaum auf, und mitreißend wird Alles ist jetzt nur in sehr wenigen Momenten.
Von einer Enttäuschung ist das Album natürlich dennoch weit entfernt. Zum einen sind die Songs dafür zu gut, zum anderen freut man sich für Axel Bosse, dass er diesen Status erreicht hat und ihn nun auch ein bisschen genießen darf. Nicht zuletzt dürften die neuen Lieder heller strahlen, wenn sie bei den anstehenden Konzerten in den Gesamtkontext seines Werks eingefügt und mit dieser Zusatz-Dosis Euphorie versehen werden, die Bosse live zu verbreiten versteht. „Musik hat mich einen Großteil meines Lebens begleitet und mich geprägt. Und Musik hat immer dazu geführt und dazu beigetragen, dass ich mich in einen guten Zustand beamen kann, bei mir sein kann, ich sein kann“, sagt er. „Für mich gibt es nichts Größeres, als auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen. Kommunizieren. Reinfallen in Adrenalin, Schweiß und Melodien und alles Negative wegtanzen. Mit anderen zusammen. Das zu teilen, ist das Größte, was es für mich gibt.“