Boy George & Culture Club Life Albumkritik

Boy George & Culture Club – „Life“

Künstler*in Boy George & Culture Club

Boy George & Culture Club Life Review Kritik
Boy George & Culture Club spielen auf „Life“ erstmals seit fast 20 Jahren neue Songs.
Album Life
Label Warner
Erscheinungsjahr 2018
Bewertung

Es wird junge Menschen geben, die Boy George – wenn sie ihn überhaupt kennen – als peinliche Figur aus der Klatschpresse und dem Trash-TV wahrnehmen. Das ist auch nicht verwunderlich: Nach seinen großen Erfolgen in der ersten Hälfte der 1980er Jahre (weltweit mehr als 150 Millionen verkaufte Tonträger, Grammys und Brit Awards) machte der 1961 als George Alan O`Dowd geborene Engländer zuletzt reichlich Negativschlagzeilen. Im August 2006 musste er nach Verurteilung wegen Drogenbesitzes mehrere Sozialstunden bei der New Yorker Straßenreinigung ableisten und, was für ihn sicher schmerzhafter war, sich dabei auch noch in hässlicher Warnwesten-Funktionskleidung fotografieren lassen. Drei Jahre später erfolgte eine weitere Verurteilung, diesmal wegen Freiheitsberaubung, was ihm vier Monate in einem englischen Gefängnis einbrachte.

Das folgende Jahrzehnt hielt für ihn unter anderem die Rolle als Coach in der fünften Staffel von The Voice UK sowie als Teilnehmer der Reality-TV-Show The New Celebrity Apprentice bereit. Es war also nicht unbedingt damit zu rechnen, dass dieser Mann noch einmal brauchbare oder gar relevante Musik machen würde. Doch Life erweist sich als ziemlich willkommenes und in jedem Falle unpeinliches Comeback.

Culture Club sind hier wieder in Originalbesetzung dabei, also mit Roy Hay (Gitarre), Mikey Craig (Bass) und Jon Moss (Schlagzeug) und scheinen sich daran zu erinnern, dass sie einmal Pioniere waren. Zwischen der Gründung der Band 1981 und dem Split 1986 waren sie tatsächlich so etwas wie Vorreiter für einen Multikulti-Sound, der unter anderem Funk, Reggae und Weltmusik-Elemente integrierte, und obendrein für eine offen ausgelebte Homosexualität, die viel Lust auf Exzentrik hatte.

Hätten Boy George & Culture Club sich nicht 1998 schon einmal für ein Album und eine Tour zusammengerauft und würden sie nicht bereits seit 2014 wieder regelmäßig Konzerte spielen, wäre diese Platte – das erste gemeinsame Album seit fast zwanzig Jahren – wohl eine Sensation. Denn erneut zeigen sie hier, wie gekonnt sie diverse Stile zusammenführen können, und nicht zuletzt, dass sie noch immer etwas zu sagen haben. Bad Blood erzählt von all den Menschen, die sich im Glanz von Berühmtheiten sonnen wollen und dabei einen schlechten Einfluss ausüben, der Song dazu kombiniert einen funky Bass mit einer souligen Melodie und dem nötigen Biss. A Different Man ruft dazu auf, niemals aufzugeben, weil man sich immer wieder aus eigener Kraft aufrappeln kann, und würde stilistisch perfekt in eine Las-Vegas-Show von Tom Jones passen. What Does Sorry Mean lebt vom Kontrast zwischen seinem Thema (häusliche Gewalt, für die Boy George in seiner Verwandtschaft selbst Beispiele erlebt hat) und der entspannt-beseelten Atmosphäre, die sich recht deutlich an Bob Marleys Jammin orientiert.

„Meine Songs sind schon immer hinterfragt worden. Nicht nur von anderen, von mir selbst natürlich auch“, betont Boy George. „Man verewigt in einem Stück eine bestimmte Erfahrung oder ein bestimmtes Gefühl; im Moment des Entstehens ist dieser Song für dich das Wichtigste auf der ganzen Welt. Ich glaube, ich lebe heute mehr im Augenblick und bin mir dessen so bewusst wie nie zuvor. Das muss auch einen Effekt darauf haben, wie ich heute schreibe. Das Album transportiert eine Art von positivem Denken, das ich als fröhlichen Zynismus charakterisieren würde.“

Life wird eröffnet von God And Love, das sofort ein Ausrufezeichen setzt, denn es ist mit Elementen aus Dub und TripHop erstaunlich heavy und erstaunlich modern, dazu kommen ein bisschen Gospel und eine fiese E-Gitarre. Der Track wäre tatsächlich in einem Club denkbar, nicht nur bei der Ü50-Disco – vielleicht kommen da die umfangreichen Erfahrungen als DJ zum Tragen, über die Boy George neben weiteren Tätigkeiten wie Schriftsteller, Schauspieler und Modedesigner ebenfalls verfügt.

More Than Silence setzt auf etwas Rock und hätte auf das Solodebüt von Robbie Williams gepasst, Runaway Train war ursprünglich ein Countrysong, was man hier kaum noch merkt, denn zum sehr lebendigen Rhythmus gesellen sich ein paar Disco-Streicher. Human Zoo (der Titel bezieht sich darauf, dass es bei all den vielen Gestalten da draußen für jeden Menschen den passenden Geistesverwandten gibt) führt karibische Soca-Klänge mit afrikanischen Sounds zusammen zu einem Mix mit ebenso viel Schwung wie Leichtigkeit, der zu einer Phase von Life mit viel Reggae-Anteil überleitet. Let Somebody Love You gehört dazu, es wird in keinem Moment schmierig oder langweilig, was schnell passieren kann, wenn weiße Menschen diese Musik spielen. Das liegt unter anderem an originellen Scratches und Steeldrums, ebenso an der universellen Botschaft, dass man zunächst mit sich selbst im Reinen sein sollte, bevor man die Liebe anderer Menschen erwartet oder gar einfordert.

Resting Bitch Face ist einer von zwei Schwachpunkten des Albums, die etwas unausgegorene Komposition wird aber vom Arrangement mit Bläsern, Slap-Bass und Backgroundsängerinnen gerettet. Auch Oil & Water überzeugt nicht ganz, denn die Klavierballade im Stile beispielsweise von Elton John ist schlichtweg ein Stück zu lang.

Dafür gibt es mit dem Gospel-artigen Titelsong einen sehr starken Schlusspunkt für Life. Das Lied feiert die Zuversicht, die Hoffnung und die Überzeugung, dass sich das Gute am Ende durchsetzen wird. „Im Leben geht es um Glauben. Es geht um Geduld. Um das Vertrauen, dass dich der Zug genau da hin bringen wird, wohin deine Reise gehen soll“, erklärt Boy George. „Ich habe mich schon immer von diesem seltsamen Optimismus leiten lassen; selbst in den merkwürdigsten und dunkelsten Augenblicken meines Lebens. Ich war mir immer sicher, dass alles wieder besser werden würde. Als ich den Text zum Titeltrack schrieb, habe ich ganz bewusst versucht, etwas Bedeutungsvolles zu komponieren. Einen Text, der den Menschen widerspiegelt, der ich heute bin. So zynisch ich auch bin, habe ich mir bis heute meinen seltsamen Glauben an andere Leute, an die Menschheit und auch an mich selbst bewahrt.“ Was er sich mit knapp 60 offensichtlich auch bewahrt hat, ist die Fähigkeit, noch immer an die Kraft der großen Liebe zu glauben – und dass es für diese Überzeugung kein besseres Format geben kann als einen Popsong.

Betont bedeutungsvoll kommt auch das Video zu Life daher.

Website von Boy George & Culture Club.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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