BRKN weiß natürlich genau, wie diese Rap-Sache eigentlich laufen sollte. Er hat einen DJ dabei (der allerdings nicht „Scratchma$ter Charli€€€“ oder vergleichbar heißt, sondern wenig Street-Cred-tauglich „Kratzmeister Kalle“), er trägt für die zweite Hälfte seiner Show in Leipzig eine Bomberjacke (die allerdings rosa ist und wahrscheinlich 90 Prozent seiner homophoben Aggro-Kollegen somit Angst einjagen würde) und besteht darauf, dass es mit dem großartigen 1991 nach knapp anderthalb Stunden nur eine einzige Zugabe gibt, weil er hier schließlich die Regeln bestimmt (und natürlich weiß, dass man dann aufhören sollte, wenn das Publikum noch nach mehr lechzt und nicht längst schon übersättigt oder gelangweilt vom Warten auf die Hits ist). Er erfragt bei seinen Fans, ganz geschäftstüchtig, die Vermarktbarkeit des Getränks, das er gerade zu sich nimmt (es erweist sich allerdings als Aufgusstee, denn er ist wohl gesundheitlich etwas angeschlagen und will sich etwas schonen). Das Wunderbare an seinem Konzert im gut gefüllten Conne Island wird trotzdem bereits sehr früh an diesem Abend deutlich: Auf die Klischees und Konventionen dieses Genres hat er keinerlei Lust. Er will HipHop zelebrieren, aber nach seinen Regeln.
Das zeigen die Hinweise, die oben in Klammern gesetzt sind, und das unterstreicht jede einzelne Sekunde seines Auftritts in Leipzig. Sad In Meria von der akuellen EP Rahat eröffnet den Abend, das Mikrofon hängt dabei von oben von der Saaldecke herab wie einst bei Croonern wie Frank Sinatra. Das gibt Andaç Berkan Akbiyik die Möglichkeit, seine Hände und den Rest des Körpers bei diesem Auftakt voll und ganz für seine Performance zu nutzen. Und es stellt den 32-Jährigen aus Berlin-Kreuzberg zugleich in die Tradition von Künstler*innen, die mehr beherrschen als ein paar Beats und Rhymes.
Passenderweise greift BRKN nach Drama und Dreck am Ende von Therapie dann zum ersten Mal für ein Solo zum Saxofon. Für das folgende Ein Zimmer setzt er sich ans Klavier und macht Witze über Beethoven (seine These: entfernt man den Puder im Gesicht und die Perücke, dann gehört der Komponist zu den People of Colour), und auch damit zeigt er, wie wenig dieses Konzert einer üblichen Deutschrap-Show gleicht, in der auf der Bühne nur die dickste aller Hosen getragen werden darf und vor der Bühne vielleicht gehüpft, gekifft und geprügelt wird, aber man als Fan auf keinen Fall den Eindruck machen sollte (wie es hier geschieht), sich verstanden, getröstet oder gar ertappt zu fühlen von dem, was da oben erzählt wird. „Ich will gar nicht so viel labern, da kommt immer nur Müll raus“, behauptet BRKN, als ihm eine Ansage zu misslingen droht, aber die Leidenschaft, mit der seine Zeilen im Conne Island von den Fans mitgesungen werden, beweist das Gegenteil: Seine Texte holen die Teenies im Publikum mit ihrer Gen-Z-Orientierungslosigkeit genauso ab wie die Ü30-Fraktion, die schon zwei bis drei mittelschwere Enttäuschungen zu überstehen hatte.
Neben diesen Texten und seiner enormen Musikalität (das Saxofon wird bei jedem Einsatz bejubelt, beispielsweise in Stress zeigt BRKN, was er für ein guter Sänger ist) wird der Spirit der Unberechenbarkeit zum entscheidenden Erfolgsfaktor für diesen Abend. „Das ist wie ein Jazz-Konzert: Niemand weiß was passiert, nicht einmal ich“, scherzt er an einer Stelle. Der beste Beweis dafür sind die „Dance Breaks“, die Kratzmeister Kalle jeweils nach Aufforderung für ein paar Sekunden einspielt. Sie bringen den Star des Abend ebenso zum Tanzen und Ausflippen wie den Rest des Saals, von Summer Jam bis Hot In Herre, und diese Bereitschaft, sich einfach mitreißen zu lassen, wird schnell als ein zentrales Element in der Live-Performance von BRKN erkennbar: Er strotzt vor Energie, egal ob er Seit du weg bist auf einem Hocker sitzend singt oder zu umjubelten Tracks wie Jede Nacht oder Bordeaux (dem letzten Song des regulären Sets) eskaliert.
Selbst Menschen, die nicht allzu gut mit dem Material seiner drei LPs und vier EPs vertraut sind, dürften an diesem Abend problemos erkennen, dass sie hier einen geborenen Entertainer vor sich haben – und zwar einen, dessen Unterhaltungswert nicht aus Professionalität und perfekt einstudierten Nummern besteht, sondern aus Verpeiltheit. BRKN hat Lust, sich selbst von der Dynamik einer solchen Show überraschen zu lassen, und staunt beispielsweise mächtig, als sich per Handzeichen rund 95 Prozent des Publikums in Leipzig dazu bekennen, zum ersten Mal bei einem seiner Konzerte zu sein – was man umgekehrt sicher als weiteres Indiz dafür werten darf, dass er im Laufe seiner Karriere nicht nur immer erfolgreicher, sondern auch immer besser geworden ist. Den Grund dafür kann man im Conne Island genau in den Momenten gut erkennen, wenn er allein am Klavier singt oder das Saxofon spielt: BRKN hätte ohne Zweifel das Talent und Können, um auch ein ganz anderer Musiker sein zu können. Er könnte an diesem Abend auf einer Bühne stehen als Background-Sänger für Samy Deluxe, als Teil der Bläser-Sektion von Jan Delay oder als der Mann für die Tasteninstrumente in der Band von Clueso. Aber er will nichts davon. Er will stattdessen genau das, was er hier auf die Bühne bringt: Rap, nach seinen Regeln, mit seinen Themen und seinen Erfahrungen, mit Sensibilität und Intelligenz, mit Seele und Gefühl, mit ein bisschen Chaos und viel Verletzlichkeit.