Künstler*in | Broilers | |
Album | Puro Amor | |
Label | Warner | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Im Punk geht es um Individualismus und um Opposition. Es geht darum, auszubrechen aus dem, was alle anderen machen, und nicht einverstanden zu sein mit den Dingen, wie sie sind. Es geht um Verweigerung und Veränderung – notfalls radikal. Es geht um Ich statt Wir, es geht um Morgen statt Gestern.
Sammy Amara weiß all das bestens. „Wir waren bereits aus der Zeit gefallen, als wir unsere ersten musikalischen Gehversuche machten und es war uns herzlich egal“, sagt er über die Anfangszeiten der 1994 gegründeten Broilers. „In jeder Stadt gab es eine Szene von solchen Leuten, die auf dieser Basis ihren eigenen Film drehten, ihre eigene Interpretation und Weiterentwicklung dessen, was mal als ‚Punk‘ in grauer Vorzeit gestartet war. Wir waren die Band aus dieser Szene für diese Szene. (…) Es war wie in einem anderen Universum: Eine eigene, autarke Welt, von der nur diejenigen Notiz nahmen, die sich in ihr bewegten.“
Genau wegen dieser Ursprünge und diesem (durchaus zutreffenden) Bekenntnis zur Autonomie, die unbedingt zu Punk gehört, ist die Musik der Broilers so seltsam. Die Band, die zuletzt zwei Nummer-1-Alben in Folge hatte, wirkt schon länger wie die musikalische Entsprechung eines Phänomens, das man seit rund zehn Jahren sehr deutlich auf Straßen, Konzerten und Festivals erleben kann: Menschen, die sich mit Punk-Look und alternativer Optik schmücken, aber im Kopf die größten Spießer sind. Komplett tätowierte Versicherungsvertreter. Finanzbeamtinnen in Springerstiefeln und Lederjacke. Polizeihauptmeister mit Piercing und Oi-Sticker am VW Passat. Natürlich ist das zunächst ein Klischee und auch arg pauschal. Aber Puro Amor zeigt sehr deutlich, dass dieser Widerspruch tatsächlich in der Musik der Band aus Düsseldorf seinen Ursprung hat. Sie halten sich womöglich für Punks und Renegaten. Aber ihr Mindset ist im höchsten Maße konservativ.
Das Ideal liegt hier immer in der Vergangenheit, das Glück immer in der homogenen Gemeinschaft. Das Schlimmste, was passieren kann, ist demnach der Verlust von jemandem aus der guten alten Zeit, der dann auch gleich in 5 von 14 Liedern des Albums im Mittelpunkt steht. In Nach Hause kommen / Zurück zu mir wird dieser Verlust durch einen Todesfall oder eine Trennung ausgelöst, im keltisch angehauchten Porca Miseria haben sich zwei alte Kumpels aus den Augen verloren oder auseinander gelebt („Nur noch ich / nicht mehr wir“, lautet das Lamento). An allen anderen Tagen nicht (Lebe, Du stirbst!) besingt mit beeindruckender Leidenschaft den Tod eines Freundes, Da bricht das Herz thematisiert Liebeskummer mit viel zu viel Pathos, einem kruden Text und einem wirren Sound von Folk-Besinnlichkeit über pompöse Gesten hin zu simulierter Ausgelassenheit. „Als die beste Freundin wegzog / stürzten Welten ein“, heißt der schmerzvolle Einschnitt in Dachbodenepisoden – die (mit einem sehr feinen Arrangement inszenierte) Nostalgie schließt darin selbst solche Erinnerungen ein, die man eigentlich für immer wegsperren wollte. „Wenn das Leben nur ein Film wäre / würde ich gerne Pause drücken und zurückspulen“, heißt es.
Auch jenseits davon wird auf Puro Amor, das wieder von Vincent Sorg produziert wurde, viel zu oft das „Wir“ zelebriert (statt das Ich zu stärken) und dem „Gestern“ nachgetrauert (statt das Heute zu verändern). Gib das Schiff nicht auf! („Bis auch die letzte Seele wiederkehrt / geben wir hier gar nichts auf“) könnte man böswillig als „Santiano in heavy“ bezeichnen, Alice und Sarah erweist sich als Diss für Alice Weidel im Comedy-Ska-Gewand und leider bloß auf Bierzelt-Niveau. Die Rebellion in Diktatur der Lerchen richtet sich zwar vorgeblich gegen „preußische Tugend“, letztlich aber in erster Linie gegen den eigenen Wecker. Wenn Sammy Amara darin „Deutschland schläft / ich bin noch wach“ singt, dann ist das womöglich kein bisschen metaphorisch gemeint. Auch in Alles wird wieder OK! ist das Wörtchen „wieder“ das entscheidende Problem, eben weil die Broilers damit zurück blicken statt nach vorne. Nicht alles endet irgendwann eröffnet die Platte als Reflexion über das eigene Älterwerden und als Bekenntnis zum Stillstand: „Wir bleiben die, die wir waren / Jugendliche von 40 Jahren.“
Manches misslingt völlig (Alter Geist setzt auf eine Ästhetik mit Discobeat und Elektronik, obwohl es um Depression geht), anderes ist immerhin kurzweilig (Schwer verliebter Hooligan klingt wie eine unpolitische Variante von Feine Sahne Fischfilet) oder wird amüsant wie Trink mich doch schön, das die notorische Hoffnung auf etwas, was man unromantisch „Resteficken“ nennen könnte, in einen Reggae verwandelt. Es gibt auf Puro Amor zweifelsohne einige gute Verse und beträchtliche handwerkliche Kompetenz (auch wenn die Bläsersätze leider wie aus dem Computer klingen). An sehr vielen Stellen findet man aber eben auch Zeilen, die aufrecht klingen sollen, bei näherer Betrachtung aber dubios werden.
Niemand wird zurückgelassen ist so ein Beispiel. „All diese Leute kenn‘ ich“, stellt Amara darin fest – und das ist der Grund, warum sie nicht zurückgelassen werden dürfen. Das wirft im Umkehrschluss natürlich die Frage auf: Wie wäre es, wenn sie Fremde wären? Sind sie dann weniger wert, erlischt dann ihr Anspruch auf Beistand und Unterstützung? Natürlich ist mit dem „Kenn‘ ich“ auch gemeint: Diese Träumer, Säufer, Linksversifften und Ausgestoßenen sind Gesinnungsgenossen („Das sind alles meine Leute“, heißt es), auch daher rührt die Solidarität. Trotzdem bleibt der Einwand: Was ist mit der Gleichheit? Wie steht es um die Würde derer, die anderer Gesinnung sind?
Amara (Gesang, Gitarre), Ron Hübner (Gitarre), Ines Maybaum (Bass), Andi Brügge (Schlagzeug) und Chris Kubczak (Keyboards) irritieren hier insgesamt mit Inhalten, die – und das merken sie selbst offensichtlich nicht einmal – kein bisschen zu ihren Überzeugungen passen. „Die Musik haben wir immer sehr, sehr ernst genommen und ‚die Sache‘ erst recht. Der Punk-Spirit, dieser rebellische Geist, der Dir sagt, dass Du alles selber machen und selber entscheiden musst, weil Du nur so letztendlich Deine persönliche und künstlerische Freiheit finden kannst, ist bis heute ein wichtiger Begleiter von uns“, sagt Amara. Aber die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln, offen zu bleiben für andere Eindrücke und neue Menschen, nicht zuletzt aktiv an einer besseren Zukunft zu arbeiten – all das findet auf Puro Amor nicht statt. Stattdessen gibt es Slogans statt Reflexion, eine diffuse Zukunftsangst und eine beschwichtigende Gefühligkeit als Ersatz für die Suche nach Ursachen von Missständen oder gar Lösungen für Probleme. Das sind genau die Mittel, mit denen sonst Rechtspopulisten auf Stimmenfang gehen.