Künstler*in | Broilers | |
Album | Santa Claus | |
Label | Skull & Palms Recordings | |
Erscheinungsjahr | 2021 | |
Bewertung |
Kann Weihnachten wirklich Punk sein? Die Herausforderung erscheint gewaltig: Das angebliche Fest der Liebe steht für Konventionen, Kirche und Kommerz wie wenige andere Dinge – alles davon ist ziemlich genau das Gegenteil von Punk. Wenn eine Band wie die Broilers, die sich als Punk versteht, also ein Weihnachtsalbum wie das heute erscheinende Santa Claus macht (der Titel spielt natürlich auf ihr eigenes Album Santa Muerte von 2011 an), ist das ein heikles Unterfangen.
Die Band aus Düsseldorf weiß darum. Sie beruft sich bei dieser Idee unter anderem auf Elvis Presley, Johnny Cash oder Mariah Carey, deren Karrieren erst dann wirklich vollständig gewesen seien, als sie ihren Fans auch ein paar Weihnachtslieder geschenkt hätten. „Wir treten hier in die großen und verschneiten Fußstapfen von Heldinnen und Helden von uns und versuchen ihren Songs alle Ehre zu machen“, teilt die Band mit, die zuletzt im April mit Puro Amor zum dritten Mal in Folge die Spitze der deutschen Charts erreicht hat. Mit den Toten Hosen gibt es auch eine Band in direkter geografischer und stilistischer Nachbarschaft, die (als Die Roten Rosen) dieses Experiment ebenfalls gewagt hat.
Der Drang, sich vielleicht trotzdem noch für diese Idee rechtfertigen zu müssen, spricht auch aus der Single Grauer Schnee, der einzigen Eigenkomposition auf Santa Claus. „Es sind dieselben drei Platten jedes Mal / dieselben Lieder, die es schon immer waren“, singt Sammy Amara darin, und natürlich könnte es angesichts dieser Diagnose nahe liegen, selbst ein paar Stücke zu diesem Kanon hinzuzufügen. Problem 1 dabei: Genau das tun die Broilers nicht, sondern covern stattdessen lieber fleißig, und zwar zu einem guten Teil ausgerechnet “dieselben Lieder, die es schon immer waren“. Problem 2: In Grauer Schnee hört man kein bisschen von echter Vorfreude oder Begeisterung für das Weihnachtsfest, stattdessen werden die jährlichen Routinen thematisiert. Die Feiertage scheinen in diesem Lied vor allem mit dem Gedanken von „Lassen wir es halt über uns ergehen und machen wir das Beste daraus“ verbunden zu sein. Und genau dieser Ansatz prägt auch diese sagenhaft schlechte Platte.
Der Auftakt ist dabei noch interessant: Carol Of The Bells erweist sich als ein experimentelles, gespenstisches Instrumentalstück, das als 40-sekündiges Intro das folgende Feliz Navidad einläutet. Mit diesem Klassiker bewegt sich das Weihnachtsalbum aber schon schnurstracks in Richtung „unerträglich“. Der Sound schwankt zwischen Ska und Knüppelrock, der Gesang hat gerade einmal Karaoke-Niveau – und die Zeile „I wanna wish you a merry christmas from the bottom of my heart“ klingt genauso unglaubwürdig wie das „Oi“ am Ende.
Das Phänomen wiederholt sich direkt in Christmas Time (Again), in dem die Broilers auf Tempo statt Esprit setzen. Das Ergebnis wirkt hingerotzt und lieblos, statt „It’s christmas time again“ könnte Sammy Amara auch von „dinner time“, „spring time“ oder „Krombacher time“ singen. Es wird danach nicht besser: Christmas (Baby Please Come Home) ist ekelhaft anbiedernd, Christmas Vacation (der Titelsong des Soundtracks zu National Lampoon’s Christmas Vacation; zu Deutsch: Schöne Bescherung) schwankt zwischen überflüssig und nervtötend, Driving Home For Christmas wird betont heavy arrangiert und verliert dabei komplett die wehmütige Sehnsucht, die das Original von Chris Rea prägt. Vor Mitternacht beschließt die Platte als ziemlich peinliche Übersetzung von Auld Lang Syne.
Es gibt ein paar okaye Momente wie Santa Claus Is Comin‘ To Town oder Father Christmas (ein willkommenes Schmankerl aus dem Katalog der Kinks), auch Mele Kalikimaka (das einst schon von Bing Crosby aus Hawaii in die Wohnzimmer der Welt geholt wurde) oder Oi! To The World (The Vandals), das sogar ein bisschen Feuer hat, gehören dazu. Aber nirgends erreichen die Broilers ein Level, bei dem die Idee ihrer eigenen Weihnachtsplatte originell, inspiriert oder gar zwingend wirken würde.
Ein gutes Beispiel ist Fairytale Of New York: Die Vorlage der Pogues bringt mit ihrer feuchtfröhlichen Rotzigkeit eigentlich gute Voraussetzungen für eine Punk-Coverversion mit, doch hier wirkt das eher wie Pastiche. Die von Bassistin Ines Maybaum gesungene „You scumback, you fucker“-Strophe ist der einzige Moment, in dem diese Neuinterpretation authentisch klingt und einer der ganz wenigen auf dieser Platte, wo Leidenschaft erkennbar wird. Mit Merry Christmas (I Don‘t Want To Fight Tonight) von den Ramones versemmeln die Broilers noch eine weitere Steilvorlage: Der Song wird hier ausgerechnet zur Klavierballade mit Streichern umgedeutet und zeigt mit dem penetranten Knödeln noch einmal, dass Sammy Amara sich wohl für einen außergewöhnlich guten und gefühlvollen Sänger hält, was ein Irrtum ist.
Santa Claus ist damit für die Broilers und ihre zahlreichen Fans (für die anstehende Open-Air-Tour im kommenden Jahr sind schon mehr als 100.000 Tickets verkauft) ein heftiger Griff ins Klo. Sie ruinieren hier nicht nur etliche Weihnachtslieder, sondern ramponieren auch ein gutes Stück ihrer Reputation und Glaubwürdigkeit. Das Album ist kommerziell in seiner gewollten Gefälligkeit, viel zu konventionell in der Umsetzung und nirgends so beseelt oder auch nur gefühlvoll, wie sich die Kirche vor allem zu dieser Jahreszeit inszenieren möchte. Santa Claus ist damit genau so, wie Punk nicht sein sollte. Und Weihnachten auch nicht.