Buzzcocks – „Love Bites“

Künstler Buzzcocks

Buzzcocks Love Bites Review Kritik
Nur ein halbes Jahr nach dem Debüt brachten die Buzzcocks schon „Love Bites“ heraus.
Album Love Bites
Label Domino
Erscheinungsjahr 1978
Bewertung

Man spricht ja gerne, bewundernd oder stöhnend, vom erstaunlichen Tempo unserer Zeit. Das gilt auch in der Musik. Man braucht drei Jahre bis zum nächsten Album? Undenkbar! Man kann bei einem viralen Hit nicht binnen weniger Monate den Nachfolger hinterher jagen? Schon ist man wieder vergessen! Man gründet eine Band und hat nicht innerhalb einiger Wochen einen schicken Internetauftritt samt der ersten selbstproduzierten Aufnahmen? Gestrig!

Dass es dafür keineswegs die technologischen Möglichkeiten und medialen Wirkungsweisen des digitalen Zeitalters braucht, beweist ein Blick auf die Buzzcocks. Zum 40. Jubiläum der ersten beiden Alben der Band legt Domino diese neu auf, und beim Rückblick erstaunt vor allem die immense Geschwindigkeit dieser Karriere. Im Schnelldurchlauf:

1976: Pete Shelley und Howard Devoto gründen in Bolton eine Band. Sie nennen sich Buzzcocks.

Juni 1976: Sie stellen das Konzert der Sex Pistols in der Lesser Free Trade Hall in Manchester auf die Beine und spielen dort auch selbst. Es sollte eines der wichtigsten Konzerte der Musikgeschichte werden, denn im Publikum sind etliche Gäste, die danach selbst sehr einflussreiche Bands gründen (Joy Division, The Fall, The Smiths).

1976: Die Buzzcocks nehmen erste Demos auf (die Domino unlängst ebenfalls unter dem Titel Time’s Up veröffentlicht hat).

Dezember 1976: Die Band nimmt die EP Spiral Scratch auf und bringt sie bei der eigenen Plattenfirma New Hormones heraus. Stattliche 16.000 Exemplare werden abgesetzt.

Dezember 1977 bis Januar 1978: Aufnahmen zum Debütalbum Another Music In A Different Kitchen in London.

März 1978: Das erste Album kommt heraus.

Juli 1978: Aufnahmen für Love Bites, wie beim Debüt geht die Band dazu mit Produzent Martin Rushent in die Londoner Olympic Studios.

September 1978: Love Bites erscheint und erreicht Platz 13 in den englischen Album-Charts.

1979: Das dritte Album A Different Kind Of Tension wird veröffentlicht.

1981: Die Buzzcocks lösen sich auf.

Drei Alben in drei Jahren, dazu unzählige Konzerte, etliche Umbesetzungen, legendäre Singles und TV-Auftritte. Blickt man heute auf Love Bites zurück, das für die Neuauflage von den Originalbändern remastered wurde und natürlich nicht nur als flüchtiges MP3, sondern als Deluxe-LP auf 180g Vinyl, Standard-LP und CD erscheinen wird, kann man ein bisschen von der Atemlosigkeit dieser Jahre nachempfinden. Zugleich zeigt das Album auch: Die Songs der Buzzcocks brauchen nicht die Energie und den Kontext dieser Ära (heute würde man sagen: den Hype). Sie sind stark genug, um auch unabhängig davon zu bestehen. Nicht zuletzt gehört zur Rasanz dieser Karriere auch eine musikalische Weiterentwicklung von Pete Shelley (Gesang, Gitarre), Steve Diggle (Gitarre, Gesang), Steve Garvey (Bass) und John Maher (Schlagzeug), die hier auch schon im unmittelbaren Vergleich zum Debütalbum Another Music In A Different Kitchen deutlich wird.

Operators Manual nutzt die Monotonie, die man Punk gerne unterstellt, auf clevere Weise als Stilmittel, ebenso ironisch ist der Blick auf den Alltag, der hier besungen wird – das Gesamtergebnis würde auch zu den Kinks passen. Das instrumentale Walking Distance zeigt: Die Buzzcocks beherrschen nicht nur ihre Instrumente, sondern haben auch Lust darauf, das zu zeigen. Solch ein Song könnte auch von The Who oder Thin Lizzy stammen. Nostalgia ist erstaunlich abstrakt und wird dennoch, vor allem durch das halsbrecherische Tempo, zupackend. E.S.P. zeigt unter anderem mit der zweistimmigen Gitarre, dass die Band auch die Möglichkeiten des Studios mehr mitdenkt, das instrumentale Late For The Train könnte zum Abschluss des Albums die perfekte Vorlage für das darstellen, was Oasis gut 20 Jahre später mit Fucking In The Bushes abgeliefert haben: Die Drums klingen fast elektronisch, der Sound ist kraftvoll, der Ansatz sehr innovativ.

Insgesamt gibt es auf Love Bites mehr Fokus auf Gesang, Text und Vielfalt als auf dem Debütalbum. Ein Beispiel dafür ist Sixteen Again, das überraschend zahm im Sound bleibt, wenn auch nicht im Text. Im Mittelpunkt von Love Is Lies steht sogar eine akustische Gitarre – man möchte nicht „Smokie“ denken, aber es lässt sich nicht ganz vermeiden. In Nothing Left treffen heavy und verspielt aufeinander, wie in etlichen Passagen der Platte, wobei die Buzzcocks in diesem Stück allerdings etwas den Fokus verlieren. Die Gitarre im Album-Auftakt Real World klingt auch nach heutigen Maßstäben noch giftig. Just Lust, das am deutlichsten auf den Testosteron-Überschuss verweist, der das Debütalbum so geprägt hat, klingt so unmittelbar, direkt und kraftvoll, wie der hier besungene Trieb nun einmal wirkt.

Und dann ist da ja noch Ever Fallen In Love (With Someone You Shouldn’t’ve). Es war der größte Erfolg der Buzccocks, erklärt auch heute noch am besten, was diese Band ausmacht, und beschleunigte die Welt des Quartetts noch einmal erheblich. Der Song hat nicht nur den besten Refrain ihrer Karriere, sondern wurde natürlich auch deshalb ein Hit, weil er ein Gefühl auf den Punkt bringt, das jeder Mensch schon einmal erlebt hat – wenn er ausreichend unvernünftig, sensibel und romantisch genug ist. Mit anderen Worten: Wenn er Glück hat.

Ever Fallen In Love – tatsächlich bei Top Of The Pops.

Homepage der Buzzcocks.

Michael Kraft

Michael Kraft ist Diplom-Journalist und lebt in Leipzig. Auf shitesite.de schreibt er seit 1999 als Hobby über Musik, Filme, Bücher und ein paar andere Dinge, die ihn (und vielleicht auch den Rest der Welt) interessieren.

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